Ein Anruf bei Joschka Fischer

Herr Fischer, vielen unserer jungen Leser sind Sie gar nicht mehr bekannt, und die älteren haben schon längst wieder vergessen oder verdrängt, wer Sie sind. Können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Ich bin Mitglied der Partei Die Grünen und war Vizekanzler und Bundesaußenminister im Kabinett Schröder. – Na, erinnern Sie sich? Ich war der mit dem leidenden Gesicht.

Leidend sehen Sie heute gar nicht mehr aus, aktuell sind Sie in erster Linie Berater und Lobbyist, unter anderem haben Sie für den insolventen Immobilienunternehmer René Benko gearbeitet, der 700 Millionen Euro Subventionen vom deutschen Staat verpulvert und viele seiner Firmen zugunsten seiner Immobilienholding kannibalisiert hat.

Unsere Rechnung hat er beglichen, mehr kann ich dazu nicht sagen. Lassen Sie uns lieber über Atomwaffen reden.

Gerne. Wie finden Sie Atomwaffen?

Wie ich neulich erst in einem Interview ausführen durfte, sollte Europa atomar massiv aufrüsten. Wir brauchen Bomben, Bomben, Bomben, sowohl atomar als auch konventionell. Wir müssen unsere Abschreckungsfähigkeit wiederherstellen, auch wenn mir der Gedanke daran überhaupt nicht gefällt.

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Aber was muss, das muss, nicht wahr?

Ja, was will man denn sonst machen? Ich habe – wie es der aktuelle Vizekanzler ausdrücken würde – große Bauchschmerzen bei dem Gedanken daran, dass wir überall in Europa Atomwaffen stationieren, aber ich sehe keine andere Möglichkeit.

Sie sind ja dafür bekannt, dass Sie wählerisch sind, was die Länder betrifft, gegen die Deutschland Krieg führen sollte. Im Kosovo waren Sie dafür, in Afghanistan auch, im Irak dagegen nicht. Wer hätte einen Bombenabwurf verdient? Der Iran?

Eher nicht.

Russland?

Putin arbeitet auch mit nuklearer Erpressung. Da nicht mitzumachen wäre ein großer Fehler, diesen Fehler sollte Europa vermeiden.

Die Entscheidung, ob die Bombe gezündet wird, müssten dann die EU-Regierungen treffen. Denken Sie, die könnten sich einigen?

Die Existenz der Bomben soll in erster Linie abschrecken. Ich denke aber durchaus, dass die EU-Kommission im Zweifel beherzt genug ist, diese schwierige Entscheidung einstimmig zu treffen. Zumindest Putin sollte das glauben.

Würden Sie persönlich auf den Knopf drücken?

Das ist als neutraler Berater nicht meine Aufgabe. Aber wenn mich einer fragt, würde ich es tun. Aber selbstverständlich nur mit Bauchschmerzen.

CD

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