Mit der Steuer droht man nicht

Da denkt man, das Schlimmste sei geschafft, erster Zahn, erster Biss, erster Kuss und erster Vollrausch, doch dann kommt der Teenager auf die Idee, einen Führerschein machen zu müssen. Das gehöre zu einer vollständigen Adoleszenz einfach dazu, erklärt er mir. Natürlich will ich meinem Sohne diese Reifeprüfung nicht vorenthalten, und wer weiß, vielleicht kann er als »Uber«-Fahrer eines Tages die Familie ernähren. Ich überlasse ihm die Auswahl einer geeigneten Fahrschule und bringe schon mal den Ehering der Oma zum Pfandleiher.

Wenn man nicht das Glück hat, seinen Führerschein als Fortbildung vom Jobcenter gesponsert zu bekommen, muss die Familie ran. Unter 3000 Euro wird er es schaffen, beruhigt mich mein Sohn nach seinem Erstgespräch in seiner favorisierten Fahrschule. Die Wahl fiel auf eine stark expandierende Kette von türkischen Betreibern mit einem eindrucksvollen Fuhrpark an Luxuskarren.

Tom Fiedler

Mercedes, Tesla und Lamborghinis parken vor den Filialen in allen Brennpunkt-Bezirken der Stadt. Mein Sohn erklärt mir, dass er es toll findet, wie die hier einander vertrauen. Sogar den Schlüssel lassen sie stecken, jeder schaut auf jeden. »Dann ist der Fahrschul-Chef wohl sehr beliebt«, stelle ich fest und suche den Mann im Internet.

Hier zeigt sich der erfolgreiche Unternehmer im Pool mit Schischa, auf einer Jacht und mit seiner süßen Großfamilie auf der Terrasse einer Villa. Bilder aus dem Knast kann ich nicht finden und auch die üblichen Berliner Kriminellen-Clans tauchen in seiner Freundesliste nicht auf. Das beruhigt mich und ich schäme mich heimlich, dass ich so klischeebehaftet denke.

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Mein Fahrlehrer damals, in den Baseballschläger-Jahren, war ein alkoholkranker Kettenraucher, der vielleicht ’ne Kleingartenparzelle hatte und am liebsten seine Hand auf meinem Knie parkte.

Die Zeiten haben sich geändert, und mit Fahrunterreicht wird man offenbar reich.

Also gehe ich mit meinem Sohn in eines der Anmeldebüros und mache es oziell. Die junge Frau mit Wimpern wie Handfeger und Lippen wie Schwimmflügel erklärt mir sehr nett, wo ich unterschreiben und mich nicht wundern soll: Die Preise im Vertrag sind nicht die echten. Die Fahrstunden kosten etwas mehr und werden nur in bar bezahlt, erklärt die Dame geduldig. Offenbar verstehen das viele nicht gleich. »Also gibt es nach jeder Stunde acht bis zehn Euro mehr, als bei der Steuer angegeben wird? Und das alles in cash!?«

Plötzlich ist es totenstill in dem fröhlichen Fahrschulbüro. Hat da jemand »Steuer« gesagt? Mein Sohn schaut mich so an wie damals, als ich beim Elternabend gefragt habe, ob man eine Deo-Pflicht für Pubertierende einführen könnte.

»Teuer, nur teuer habe ich gesagt. Nicht Steuer. Da haben Sie was falsch verstanden.« Ich stecke der jungen Frau einige Geldscheine zwischen ihre glitzernden Krallen und alle sind wieder nett.

Einige Wochen später. Die Theoriestunden hat mein Sohn hinter sich gebracht. Er weiß nun, dass Frauen scheiße einparken, dass Alkohol nur was für Opfer ist (also kein Thema), dass EU und Europa nicht dasselbe sind und dass alles andere mit der Praxis kommt.

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Zum Beweis, dass mein Geld gut investiert ist, machen wir eine Testfahrt durch Berlin. Natürlich ist das verboten, aber mit einem Kissen unterm Hintern und einem angeklebten Bart kommt niemand darauf, dass der Junge erst 17 ist und nicht Autofahren kann. Wir fahren durch den Wedding, Döner holen, und zurück. Schon an der ersten Ampel zückt mein Sohn den Mittelfinger, um … sich in der Nase zu bohren. Der Fahrer neben uns lässt trotzdem die Scheibe runter. »Eh, bist du behindert?«, ruft er. Mein Sohn scheint den Mann zu ignorieren. Doch dann heult der Motor meines Kleinwagens auf. Beide starren auf die Ampel. Dann rasen sie los, ein Wettrennen bis zum nächsten Zebrastreifen. Mir bleibt fast das Herz stehen. Nie hätte ich gedacht, dass mein altes Auto so beschleunigen kann. »Das hab ich drauf!«, stellt er stolz fest. Da mache ihm keiner was vor. Ob das legal ist, will ich fragen, als ein Hochzeitskonvoi an uns vorbeizieht. Mein Sohn reagiert sofort, wie er es gelernt hat: Er penetriert die Hupe so stark, dass ich austeigen muss, um keinen Hörsturz zu erleiden.

Vielleicht überlasse ich alles Weitere lieber dem Fahrlehrer. Der wird schon wissen, was ein Autofahrer heutzutage alles so zum Überleben im Berliner Straßenverkehr braucht. Und wenn die Steuerfahndung nicht dazwischenkommt, hat mein Junge in drei Wochen seinen Lappen. Dann werde ich nie wieder mit dem Auto im Wedding Döner holen müssen.

FELICE VON SENKBEIL

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