»Wollt ihr den totalen Ohrwurm?«
Es war DER Überraschungshit des Frühjahrs 2024: die deutsche Coverversion von Gigi D’Agostinos »L’amour toujours«. Die nationalsozialistisch angehauchte Pop-Hymne trendete auf Schützenfesten und AfD-Clubbings, in Diskotheken und Nobel-Restaurants von Sylt bis Mittelfranken. Aber wer steckt hinter der Neufassung? Ein Gespräch mit dem erfolgreichen Songtexter und freiberuflichen Faschisten Claas-Holger Hitlerseer, 52 – über Party, Love und die Wiedergeburt der deutschen Herrenrasse aus dem Geiste des Eurodance.
Lieber Herr Hitlerseer, Ihre radikale Neudeutung von »L’amour toujours« ist inzwischen ein echter Rassen-, äh, Gassenhauer geworden. Kritiker bemängeln allerdings Ihre schlechte Übersetzung …
Hä? Wieso?
Na ja, im Original heißt es »You’ll be my baby and we’ll fly away« und »I always dream that you are by my side«. Bei Ihnen hingegen: »Ausländer raus«. Können Sie die Aufregung verstehen?
Kein Stück. Gut, »Ausländer raus« klingt natürlich beim ersten Hören ein bisschen provokant – aber man muss doch bitteschön auch mal fragen: Ausländer wo raus? Vielleicht: »Ausländer raus aus dem Status des Marginalisiertseins«? Oder: »Ausländer, geht doch mal raus, verkriecht euch nicht immer in euren vier Wänden, kommt in die Öffentlichkeit, begegnet einem weltoffenen, herzlichen Deutschland, und zwar ein bisschen zackig, ihr Untermenschen, sonst …«
Verstehe. Aber »Deutschland den Deutschen«?
Meine Fresse! Drei harmlose Wörter! »Deutschland« – ist es nicht nur ein mittelgroßes Staatsgebiet auf Gottes Erdenrund? »Den« – die flektierte Form des bestimmten Artikels »der«? »Deutsche« – die Einwohner jenes oben erwähnten idyllischen Landstrichs? Alle diese Wörter kommen ja schon im Grundgesetz vor! Zum Beispiel Artikel 16, Absatz 2: »Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.« Wo soll er also hin, wenn nicht nach Deutschland? Deutsche dem Deutschland! Deutschland den Deutschen!
Satire & Humor per E-Mail
Der EULENSPIEGEL-Newsletter erscheint Dienstag und Donnerstag mit auserwählten Beiträgen.
Ähhh …
Ja, da staunen Sie! Solch jüdische Rabulistik hätten Sie mir nicht zugetraut, was? Mir, dem tumben Schlagertexter …
Die meisten Menschen, die Ihren Text singen, verstehen ihn aber anders – eher so anti-Ausländer, mehr so ein bisschen rassistisch.
Quatsch. Mein Song ist Globalismus pur! Die deutsche Fassung eines englischen Textes mit französischem Titel eines italienischen Musikers – wie durchrasst wollen Sie’s denn noch?
Den englischen Text haben Sie aber ausgemerzt.
»Ausgemerzt?« Schreckliches Wort. Ich bevorzuge »vernichtet«.
Okay. Der Musiker Gigi D’Agostino, von dem die Originalfassung stammt …
Guter Mann! Italiener! Die Italiener haben den Faschismus erfunden. Wir Deutsche haben ihn nur perfektioniert.
Gigi D’Agostino distanziert sich jedenfalls von Ihrem Text. Er meint, er sei total erschüttert, dass sein Lied jetzt nicht mehr auf dem Oktoberfest gespielt wird oder auch in vielen Diskotheken.
Tja, mitgehangen, mitgefangen! Was komponiert der verdammte Nudelfresser auch einen Song, der zufällig genau auf meinen Text passt? Jahaa, das ist typisch Italien – erst im Gleichschritt mit uns Deutschen marschieren, aber wenn wir dann niedergerungen und verboten werden, sich schön aus der Affäre stehlen und die Fronten wechseln und …
AnzeigeVorsicht, Sie geifern sich grade aufs Hemd. – Ich glaube, die Veranstalter, die „L’amour toujours“ jetzt nicht mehr spielen wollen, haben einfach Angst, dass sich der Song verselbstständigt. Dass man beim Hören jetzt automatisch an Ihren Text denkt. Das Lied ist ein Virus geworden, könnte man sagen … Oder nein – Ihr Text ist der Virus, und das Lied ist der Überträger. Sodass also jeder, der Ihre Parolen mühsam von der Hirnplatte gelöscht hat, nur eine winzigkleine musikalische Neuinfektion braucht, und schon …
Trommelt mit den Fingern auf den Tisch, summt. Du-dubi-duuu, dudubi-duuu, du-dubidu-dubidu-dubi-duuu…
Wahah, aufhören! Fuck. Jetzt hab‘ ich es schon wieder im Ohr!
Stellen Sie sich mal nicht so an, das ist doch bloß eine unschuldige kleine Tonfolge. Nein, Gigi Mussolino hat total recht: Wo kommen wir hin, wenn wir jetzt Melodien verbieten? Das erinnert mich wirklich an sehr dunkle Kapitel unserer Geschichte. Was canceln wir als nächstes? Den Badenweiler Marsch? Das Horst-Wessel-Lied?
Das Horst-Wessel-Lied ist bereits verboten.
Faschismus!
Ja … ach verdammt, jetzt habe ich das Horst-Wessel-Lied als Ohrwurm. Schönen Dank auch!
Schlimm, wie schnell Ihre Radikalisierung voranschreitet. Aber Hauptsache, Sie stellen mich als extrem dar.
Würde mir nie einfallen. – Was anderes: Könnten Sie nicht zur Abwechslung mal etwas Nützliches tun? Und noch ein paar mehr Songs rassistisch umtexten? Damit man den Mist dann möglichst großflächig nicht mehr spielt?
Aber immer.
Ja, wirklich? Vielleicht »Atemlos durch die Nacht«? Und »Shape of You« von Ed Sheeran? Und sämtliche Weihnachtslieder? Und alles von Grönemeyer?
Puh, ganz schön lange Liste. Mal sehen, ob ich Zeit finde, bei all den neuen Aufträgen, die ich jetzt habe. Eben hat das EU-Parlament angerufen, sie wollen, dass ich die Europahymne überarbeite, nach dem Rechtsruck vom 9. Juni. Hören Sie mal, die erste Zeile ist schon fast fertig: »Ausländer – ähhh, also: Ausländer rrr … Hm … nein, anders: Deutschland den … ähm… also, besser gesagt: Ausländer … Moment, ich starte noch mal …«
Lieber nicht.
MICHAEL ZIEGELWAGNER
AnzeigeAuslese
- Morgenthauröte im LuftkuhortFlorian Kech Deindustrialisierung
- Die KI lügt!Matti Friedrich UND IST NICHT WITZIG
- Ach, früher …Felice von Senkbeil Oliver Welke und Bastian Pastewka haben sich einen Traum erfüllt.
- Lieder singen, Glieder schwingenFelice von Senkbeil »Der Mann duscht mit einer einzigen Wasserflasche!«
- Heiße RedeschlachtenMatti Friedrich Am 26. Juni 1963 war es drückend heiß in Berlin. In Ganzberlin.
- Einfach nur f…FERNSEHEN Felice von Senkbeil