Vom Weiher auf den Knabenstrich

Es ist kurz nach 23 Uhr. Mit gekonnten und fast lautlosen Paddelschlägen steuert Franz Rächer sein Kanu auf einem alten Donauarm in der Nähe von Passau. Er hält inne. Alles ist still. Eine sanfte Brise weht vom linken Ufer über den träge fließenden Strom. Fingerfertig wurstelt er eine eingeschweißte Räuchermakrele aus seinem Packsack und hält sie ins Donauwasser. Luftbläschen steigen auf. Nach einigen Sekunden zieht er aus dem Fluss, was von der Makrele übriggeblieben ist. Sein leichter Anspannungstremor lässt die abgenagte Gräte in seiner Hand zittern. Selbst von der Verpackung ist kein Fitzelchen mehr da. Franz Rächer nickt wissend und flüstert: »Fischotter.« Er legt eine Dynamitstange in den Köder (eine Schweinehälfte, die er sich im Boot bereitgelegt hat), entfacht die Zündschnur und wuchtet alles zusammen über Bord.

Zwei schwule Fischotter küssen sich, um die religiösen Werte und Normen der bayrischen Gesellschaft zu verhöhnen.

Auf der Welle, die die nun folgende Detonation verursacht, gleitet er sanft ans Ufer. »Bayern ist wieder ein bisschen sicherer«, seufzt er. Vom Himmel regnet es neben Schweinefleisch und Wasser auch ein paar versprengte Reste eines Lutra lutra, des Eurasischen Fischotters, der jetzt wohl eher ein »Fischtoter« sei, kalauert Rächer und lächelt. Die Anspannung fällt sichtlich von ihm ab.

Franz Rächer stellt dem semiaquatischen Jäger nach althergebrachter bayrischer Sitte nach. Da der Otter in der Fastenzeit nicht als Fleisch, sondern als Fisch galt, erlegt man ihn seit dem Mittelalter durch die Dynamitfischerei. Diese ist seit Neuestem wieder erlaubt. Denn nachdem in Südtirol ein Jogger von einem Bären getötet wurde, hat der bayrische Ministerpräsident Markus Söder persönlich angeordnet, dass Wildtiere wie Wolf und Fischotter, die eigentlich laut Naturschutzgesetz streng geschützt sind, im Freistaat wieder bejagt werden dürfen.

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Dies geschieht nicht nur, um den Tod des Italieners an Mutter Natur zu rächen. Auch die Sicherheit, die Kernkompetenz eines jeden CSUlers, spielt dabei eine Rolle. Zugegeben, Südtirol ist nicht Bayern. Aber die Fauna im Freistaat ist nicht weniger blutrünstig, nur weil sie kleiner ist, niedliche Knopfaugen hat und sich herzallerliebst gebärdet. Söder weiß, dass er sich beim Volk beliebt macht, wenn er potenziell tödlichen Bestien den Garaus macht und sie auf brutalstmögliche Weise zerstückelt. Volksnähe ist nun mal das, was der oberste Bayer von der Pike auf gelernt hat.

Die immerhungrigen Monster sind so gefräßig, dass sie sich selbst auffressen, wenn sie nicht genügend Nahrung finden.

Seine Motive sind edel. Der nicht nur von sich selbst geliebte Ministerpräsident will verhindern, dass Bayern das erste Bundesland wird, in dem einem Menschen genüsslich von einem Otter der Kopf abgebissen wird, während der Marderartige dabei auf einem Stein liegt und possierlich schmatzt. Außerdem fürchtet er, nicht wiedergewählt zu werden. Zumindest die erstgenannte Sorge scheint berechtigt. Otterjäger Franz Rächer kann von vielen Begegnungen mit den Wildtieren berichten, die katastrophal abliefen. Er weiß, wie grausam »die Biester« sind. »Heute sind es noch Forellen in den Fischzuchtbecken, morgen sind es unsere naiven jungen bayrischen Frauen mit den drallen Brüsten und den blonden Haaren, die diese Viecher feucht machen könnten, wenn sie aus dem Wasser kommen«, sagt der Vater von zwei Teenager-Mädchen.

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Otter gehen gerissen vor. Mit ihren putzigen Lauten suggerieren sie Harmlosigkeit. Mit ihnen können sie von ihren dunklen und kalten Seelen ablenken, die einzig und allein durch ihren puscheligen Pelz gewärmt werden. Sie sind unerbittlich. Rächer zeigt Bilder von ehemaligen Betreibern bewirtschafteter Teiche. Sie liegen mit einer Spritze im Arm tot in einer Toilettenkabine. »Erst verloren sie ihre Fische, dann den fischigen Geruch, der sie ständig umgab, und schließlich ihr Haus. Auf der Straße kommen dann schnell die harten Drogen dazu«, erläutert der selbsternannte »Otter-Hunter« die Abwärtsspirale, die vom Fischotter ausgelöst wird, und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Es sei keine Seltenheit mehr, dass ehemals gestandene Forellenzüchter ihre Dienste auf dem Knabenstrich in Untergriesbach feilböten.

Er sieht keine Alternativen zur Bejagung des Raubtieres. Viel haben sie in Bayern probiert. Aber die Vergrämung durch Autobahnen und Landstraßen habe genauso wenig funktioniert wie die bewusst schlampigen Maßnahmen zur Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie zur Verbesserung der Wasserqualität in Seen und Flüssen. Auch die Umsiedlung der Tiere sei unmöglich, so Rächer. Wenn man sie freilässt, laufen sie einfach zu ihrem angestammten Revier zurück. Schneidet man ihnen die Beine ab, schwimmen sie eben.

Linksradikale Klimaterroristen-Otter behindern vielerorts den Berufsverkehr.

»Der Otter ist stur. Und er ist unersättlich«, sagt Rächer. Wenn man ihm einen Finger hinhält, dann beißt er gleich die ganze Flosse ab. Dabei mag ein Fischotter allein auf den ersten Blick wenig beängstigend erscheinen, aber gemeinsam können viele Fischotter unglaubliche Kräfte entwickeln. Franz Rächer ist zu Ohren gekommen, dass im Verborgenen Otterbanden am Werk seien – eine organisierte Otterität, die ihre Tasthaare bereits in Richtung der rechtsstaatlichen Institutionen ausgestreckt und diese unterwandert habe.

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»Wen wundert es da noch, dass vermeintlich unvoreingenommene bayrische Richter öffentliche Ottersteinigungen bis zum heutigen Tag verbieten?«, fragt der Bayern- und Menschenschützer, hebt ein paar größere Kiesel auf und steckt sie sich für »bessere Zeiten« in die Tasche. »Wenn die Ausrottung … Quatsch … Wenn die gezielte Entnahme einzelner Problem-Otter nicht schneller vorankommt, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis das erste Kind von einem Otter verletzt wird«, gibt Rächer zu bedenken. In den besonders vom Otter durchseuchten Ortschaften verbieten sie den Kleinen bereits den Georgiplansch, einen althergebrachten bayrischen Brauch, für den sich die Kinder zu Ehren des heiligen Georgs als Karpfen verkleiden und durch die örtlichen Weiher gründeln.

Deshalb fordert nicht nur Rächer die Trockenlegung aller bayrischen Gewässer und in seltenen Ausnahmefällen den gezielten Einsatz von taktischen Nuklearwaffen, um der Otterplage Herr zu werden. Wenn Umfragen beweisen, dass eine Mehrheit der Bayern für seinen Vorschlag ist, wird Markus Söder umgehend handeln.

ANDREAS KORISTKA

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