Männer, die sich in Wildschweinen wälzen
Männer werden im Alltag zunehmend durch zivilisatorische Regelungen gegängelt. Heute dürfen Männer nicht mehr im Stehen schmatzen, bei Tisch pinkeln oder ihren Vordermann in der Einkaufsschlange mit dem Warentrenner erschlagen. Deshalb haben sich Männernetzwerke wie »Sigma-Männer«, »Ober-Giga-Alphas« oder »Manfreds nackige Macker-Brigade« gebildet, die für ihre Mitglieder Treffen zum hemmungslosen Abmännern in der Natur organisieren. EULENSPIEGEL-Autor und Mann PETER KÖHLER gibt einen Einblick in die Szene.
Schon zehn Meilen gegen den Wind riecht man den Schweiß und sieht den Dunst über den Wipfeln den blauen Himmel eintrüben, hört aus wie mit der Raspel aufgerauten Männerkehlen kernige Laute, die brüllender nicht aus tiefen Löwenkehlen herausgrollen könnten. Näherkommend erblickt man sie: Kerle, die mit Fackeln grölend durchs Unterholz brechen, Kameraden, die ausgewachsene Baumstämme über ihren Kopf schwingen, Vollmänner, die nackt bis unten in einem Schlammloch voller Ratten baden. Todesfälle sind selten.
»Übungen für Weicheier«, winkt Leonhard »Mars« Schredder, muskelbepackter Anführer des Rudels, ab und macht eine kleine Pause, um sich an der Überraschung des mit Hemd und Hose eher zivil bedeckten Reporters zu weiden. Dann: »Brüllen, Stampfen, Stinken lernen die Frischlinge hier im Einführungskurs als Erstes. Dass bei den folgenden leichten Aufgaben für die Anfänger schon mal ein Vorderzahn stiften geht, ein, zwei Finger dran glauben müssen oder ein Unterschenkel lose am Oberschenkel baumelt, ist ganz natürlich. Hier sind Männer am Werk, keine Waschlappen! Oder sie werden welche! Also Männer, meine ich!«
Seine weitere Rede ist schlecht zu verstehen, weil er sie mit Brusttrommeln unterstreicht, man die Worte aus dem Meer an herausgeschrieenen Urlauten erst herausfiltern und mit Grammatik ergänzen muss. Das strengt das Hirn an, »aber dass es hier ohne besser geht, ist ein Vorurteil von draußen!«, schreit »Mars«, sofern seine Laute richtig entziffert wurden.
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Hinterher sitzen die »Alphastiere«, wie der Zusammenschluss sich nennt, friedlich im finsteren Reinhardswald nahe Kassel am Lagerfeuer und zeigen stolz ihre Schrammen und Wunden, erzählt der eine lispelnd die Anekdote, wie ihm ein loser Baumstamm aufs Gebiss fiel, berichtet der andere mit hoher Stimme von den Ratten im Schlammloch, während ein dritter stolz seinen losen Zeigefinger in der anderen Hand beäugt, lachend in die Luft wirft und fängt, weil hier niemand nach dem Arzt fragt und als Muttersöhnchen durch den schwarzen Tunnel der Verachtung gehen will.
Tatsächlich können viele Männer, die sich zum Kräftemessen in der freien, unbeschrankten Natur treffen, reden. Auch Manfred »Achill« Steiner von den sächsischen »Spartanern« ist obenrum glattrasiert, zudem weitflächig vernarbt und schiebt sich jetzt die Rippe, die seit einem Jahr Vereinsarbeit aus seiner Hüfte ragt, etwas hinein. »Wir stellen uns nach dem Spiel immer die Frage: Was macht das mit mir, was das mit dir hier macht? Wie fühlst du dich dabei, wenn du dich dabei fühlst? Natürlich muss niemand antworten!«, beruhigt er sogleich die Runde, die schon zu zappeln anfing, einige rutschten auf ihren fünf Buchstaben nervös hin und her.
Wenig später schauen sie sinnend mit glühenden Gesichtern in die lodernde Lohe der leuchtenden Flammen des flackernd knisternden Feuers, das keine Worte braucht, um gedankenvoll in den Abendhimmel emporzusteigen und echte Gemein- und Kameradschaft zu stiften. Der neue Mann, der sensible Mann, der pikobello empathische Mann: Er ist auch hier zu finden, nach dem Schreien, Toben und Wüten und wenn mancher eine Gitarre zum Vorschein und alle zum Weinen bringt.
Wie ist das mit den anderen Menschen, den Frauen? Wir treffen Brigitte »Krimhulda« Bruchmeier von den Hünfelder »Amazoninnen«, die anfangs ganz anders eingefärbt waren. »Ursprünglich trafen wir uns nachmittags bei Kaffee und Kuchen zum Klönen, Klabautern und zum«, gesteht die fest gebaute Enddreißigerin offenherzig, »Klatschen über unsere Männer, wie wir das seit Jahrtausenden tun. Aber irgendwann reichte das nicht mehr. Was die da konnten, konnten wir doch schon lange!«
AnzeigeEs versteht sich, dass Frauen sorgsamer herumtollen, dass sie ihre Gelenke umpolstern, oben, wo der Kopf ist, einen Helm tragen und in der kleinen Schlacht, die am Ende jedes Abenteuertages im Modus jede gegen jede ausgetragen wird, nicht mit bumsharten Stöcken und Steinen, sondern mit weichen Handtaschen und Wollknäueln kämpfen, »aber wild, rücksichtslos und wie losgelassene Furien kreischend, dass mancher Amazonin schon die Ohren geplatzt sind!«, begeistert sich Krimhulda, die auf das betont Frauliche hinten an den »Amazoninnen« großen Wert legt und nun vom Pedal geht: »Danach sind alle Emotionen verpufft und wir liegen uns am ganzen Körper zufrieden in den Armen!«
Viele Männer und manche Frauen hätten lieber vor 10 000 Jahren gelebt, um Kopf an Kopf mit Mammuts und Wölfen groß zu werden, statt in einem Büro einbetoniert, in einer Werks -halle festgeschraubt oder von einer mehrköpfigen Familie eingekesselt zu sein. Vor allem die Menschen mit dem verhängnisvollen Y-Chromosom, die zehnmal mehr Testosteron im Blut mitschleppen müssen, brauchen Auslauf.
Scheinbar anders tickt Ernst Callenbach – mit dem Kampfnamen »Windel«. Die federleichte Erklärung: Er lebt in einem grün-idealen Ökotopia. Während seine Frau das Geld verdient, füttert er das Kind mit Haferbrei und holt es von der Kita ab, kauft brav ein, putzt ganz lieb die Wohnung, macht die Wäsche, stopft Strümpfe und brezelt abends für alle das biologisch-dynamische Mittagessen zusammen. Gewiss, er tut es im Flecktarn. Als ehemaliger Zeitsoldat hat er auch eine Maschinenpistole unter dem Bett im Schlafzimmer. Von Kopf bis Fuß tätowiert ist er sowieso. Und am Wochenende zieht er los!
Während andere ihre hausgemachten Probleme in Alkohol ersticken, in Drogen ersäufen oder mit Literatur betäuben, tummelt sich das Mitglied der Eisenacher »Monsterhorde« im Thüringer Wald, wo er am dicksten ist. Bäume umwerfen statt im Streit ums knappe Haushaltsgeld die Ehefrau, anstelle parfümierter Schnitzel naturreine Blätter, Wurzeln und Erde fressen, statt Cola aus der Zivilgesellschaft den selbst hergestellten Urin trinken (natürlich nur den pieksauberen Mittelstrahl!), sich in den Eingeweiden eines mit Pfeil und Bogen zerschmetterten Keilers wälzen: Der wahre, gesunde Callenbach ist »keine Pussy«, wie er offen zugibt. Sonntagabends geht es dann zurück in die Familie.
Dort sind die typischen Geschlechterrollen wieder umgestülpt, was »auch sein Gutes hat«, wie der Muskelprotz alias die »Windel«, schmunzelnd über die selbst gefertigte Ironie, einräumt. Ebenso froh stimmt es ihn, dass alles nur grober Sport und Spiel ist und der Ernst in weit gespannter Ferne liegt, mehr als 1500 scharfe Kilometer in gruselig östlicher Richtung.
Aber gehört wie der Kampf nicht auch der blutig schäumende Krieg zur maskulinen Grundausrüstung, heißt leben nicht kämpfen, töten und getötet werden, sind Männer nicht alle ein bisschen Boris? Das fragt sich Callenbach manchmal – und solange er und die anderen das sich nur fragen und niemand sonst, kann man es dabei belassen.
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