Wie ein Stern in einer Sommernacht

Zuhören kann die wie keine andere! Ihr Gegenüber kann noch so einen Quatsch erzählen (»Lügenpresse auf die Fresse!«, »Du Zecke müsstest mal wieder richtig durchgenommen werden« usw.), sie gibt ihm das wohlige Gefühl, sich auskotzen zu dürfen. Gegen Hayali, mit ihrem ausgezeichneten Gehör, war der legendäre Fernseh-Pfaffe Jürgen Fliege ein Leichtgewicht auf diesem Gebiet – außerdem ein Mann, außerdem heterosexuell, außerdem aus Radevormwald bei Köln und nicht aus dem Irak, außerdem um mehrere Kilometer pro Stunde langsamer unterm Haupthaar als Dunja Hayali! Heute ist Fliege Guru der reinen körperlichen Liebe ohne schmutziges Aufeinanderrumruckeln. Der fällt also vollständig aus.

Die Last, die Versöhnerin des »tief gespaltenen« (so einhellig alle Blätter der Qualitätspresse) deutschen Volkes zu sein, trägt die kleine Dunja ganz allein. »Unsere Schanndark!« rufen die Kantinenfrauen auf dem Mainzer Lerchenberg, wenn die Hayali in der Schlange erscheint (die wissen wohl nicht, dass die Jeanne immer einen Busen raushängen ließ?). Und das zu Recht! Hat die Dunja nicht erst neulich ihren spacken Leib dem Mob, der blutdürstenden Meute, den lynchgierigen Chemnitzer Spießgesellen Heinrich Himmlers entgegengeworfen und so vielleicht eine veritable Hetzjagd an ihrer vollen Entfaltung gehindert, so dass sie der Präsident aller Verfassungsschützer nicht mit absoluter Gewissheit als eine solche erkennen konnte?

Bekanntlich sind viele Menschen, die früher den sonntäglichen »Politischen Frühschoppen« nicht verpassten, Claus Kleber an der flatternden Lippe hingen oder einander die schönsten Passagen aus Heribert Prantls Kolumnen vorlasen, vom deutschen Journalismus tief enttäuscht: nicht sozialistisch, also nicht nationalsozialistisch genug! Sie sprechen mit keinem Reporter mehr – nur noch mit der Frau Hayali! Wie metaphernreich, emotional bis zu Tränen bewegt, originell, humorvoll und dem Humanum zugewandt erzählten die Chemnitzer Werktätigen der Hayali, wo sie der Schuh drückt. Sie ist die Vertrauensperson aller Gedemütigten, die Ombudsfrau des kleinen Mannes, die Mediatorin der Empörungszene, kurz: der Pfarrerin Fliege des 21. Jahrhunderts! »Mir werden bombardiert! Mit falscher Berichterstattung … Das ist betreutes Denken … Das ham wa doch alles schon in der Aktuellen Kamera gehabt«, so brach es aus den Menschen heraus, als hätte ein früher Herbstwind plötzlich all ihre Scheu davongeblasen und in ihren Seelen ein Feuerchen des Lebens entfacht.

Und Dunja? Zunächst war sie irritiert, dass unerwartet Kameras auftauchten, Kameralichter sie blendeten, Mikrofone sich ihr entgegenstreckten. »Huch, komm’ ich jetzt etwa ins Fernsehen?«, schien sie sich zu fragen. Sie war doch hier als ganz normale, tapfere Frau, die den Menschen etwas von ihrer Bedrückung von den Schultern nehmen wollte. Doch dann fing sie sich und zeigte Gesicht – ihr klares, offenes, vielleicht ein bisschen nicht ganz und gar deutsches, aus vielen Plaudereien mit ihrem Kollegen Mitri Sirin im Morgenmagazin allbekanntes Gesicht. Und das saß!

Ein Stern schien über dem wirren, dunklen, gereizten Chemnitz aufzugehen, ein Stern in einer deutschen Nacht. Dunja hörte zu (siehe oben!), griff Hände, touchierte Schultern, streifte Arme, war wie ein milder Hauch, der die Erregten einhüllte – diese schlecht gekleideten, böse tätowierten, entzündlich gepiercten, wirr gestikulierenden, absurd frisierten, geschlechtslosen Wesen mit der ranzigen Spucke in den Mundwinkeln. Sie versuchte die Menschen zu fühlen, ohne sich zu ekeln und ohne selbst ihr Gift zu inhalieren, sie sog deren böse Energie auf, absorbierte sie, wandelte sie in einen zarten Erzgebirgs-Fön.

Dann fragte sie! Fragen kann die Dunja nämlich mindestens so gut wie hören. Und sie weiß: Menschen, deren sämtliche Körperöffnungen, inklusive Nasennebenhöhlen und alle Ganglien im Groß- und Kleinhirn mit Wirrnis verstopft sind, darf man nicht konfrontieren (also nicht: »Bist du etwa ein Nazi, du Faschistenschwein?«), denn dann fühlen sie sich bedrängt und können nur noch reflexhaft »Halt die Fresse, du arabische Lesbe!« antworten. Man muss ihnen »offene Fragen« schenken, wie eine zweite Chance im Leben.

Claus Kleber beispielsweise, dieser unermüdliche Agitator, würde wahrscheinlich röhren: »Was wollen Sie denn eigentlich, Sie Schreihals?« Dann käme prompt die Antwort: »Dass hier endlich diesen Voksverrätern … Auge gegen Auge, Zahn für Zahn, verstehste?«

Hayali aber fragt: »Was würden Sie sich wünschen? « – angenommen, es wäre Weihnachten, Adolf Hitler lebte noch oder Angela Merkel würde von Lutz Bachmann erdolcht? Und schon fühlt sich das wütende Gegenüber ermächtigt und als Individuum mit mannigfachen Träumen und Hoffnungen ernst genommen – kurz: das pöbelnde anonyme Rädchen und Schräubchen im Nazi-Mob ist plötzlich historisches Subjekt geworden!

Da sprudeln aus dem Wutbürger die konstruktiven Vorschläge heraus: zur Gestaltung des Kindergeldes und des Ehegattensplittings, zu verkehrsberuhigten Zonen, zur Krim-Besetzung, zum Insektensterben und zum gedeihlichen Zusammenleben zwischen Transsexuellen und pensionierten Briefzustellern!

Als die Hayalis aus dem irakischen Mossul nach Europa kamen, war der Dunja Datteln vorbestimmt. Datteln war (und ist) derart demokratisch, katholisch, gefegt und in Vereinen parzelliert, dass man jeden Iraker eigentlich davor warnen müsste, hier Asyl zu nehmen, es sei denn er ist Christ und wurde von Saddam Hussein verfolgt. Aber so wie einst Rotkäppchen hatten Dunja in Datteln alle gern. Sie wollte Pfarrerin oder Heilige werden und nebenbei Tischtennis spielen, aber Margot Käßmann war da noch nicht Auto gefahren, die Stelle also nicht frei. Sie studierte was und moderierte was, sie »guckte raus«, wie man in der Szene so sagt. Im ZDF, in dem es mieft und mufft, ist man immer auf der Suche nach »Frische«. Und so war sie plötzlich da. Und weil sie sich damals noch nicht so richtig wehren konnte, wurde sie gleich zu etwas Erstem gemacht – zur ersten vorzeigemigrationshintergründlerischen Moderatorin der Hauptnachrichten: Sensation! Die akademischen Meckerer haben dafür das Wort »positiver Rassismus« erfunden. Sie selbst spricht heute von ihrem »Migrationsvordergrund«.

Dann kam im ZDF plötzlich dieses Dings, dieses Internet auf, und wieder schickte man die Hayali vor. Die migrantische Frau, die im Internet die Dummheit der anderen ergründen will, in der frohen Hoffnung auf toleranten, respektvollen Austausch mit weltoffenen Biodeutschen. Nimm das dafür: »Fick dich, du Flüchtling, dein Name ist schon ekelhaft genug.«

Sie liebt Menschen und Hunde, sagt sie, auch wenn die sie mit Dreck bewerfen (nicht die Hunde). Irgendwann rief sie in die Welt: »An alle, die solche oder schlimmere Nachrichten an mich schreiben, ja, ich lese alles! Immer noch. Auch die persönlichen Diffamierungen, Beleidigungen und Pestmails …« Das ließ sich das geschätzte Publikum nicht zweimal sagen. Seitdem ist sie wieder eine Erste beim ZDF, die erste, die das aushält, die erste, die nicht locker lässt, die kämpft. Nicht für die Kanzlerin, nur gegen Verblödung.

Sie ist die einzige der Talk-Damen, die sich für ihre Talk-Show die Schuhe dreckig macht. Aber Rolle ist Rolle und manchmal auch ein bisschen albern, nicht immer liegt Drama in der Luft – manchmal steht Frau Hayali da und scheint sich zu fragen: Beschimpft mich nun mal einer?
Natürlich muss sie auch an morgen denken – sie ist nicht fest angestellt.

Sie hat sich schon als Hunderatgeberin versucht und Fotos von sich angeboten. Sie moderiert auf Anfrage bei Hinz und Kunz auch bunte Firmenfeste, doch nicht so dreist wie die Frau Schöneberger und nicht so blond. Sie macht’s für Geld, na und? Das Sportstudio macht sie aus Spaß, sagt sie. Und ist dort mal wieder die Erste, die erste Frau mit Migrationshintergrund – eine Sensation!

Felice von Senkbeil
Zeichnung: Frank Hoppmann