Mit Ulli Zelle ins Bett

FERNSEHEN

Abends, nach des Tages Last und Müh’ – es wurde geeggt, gemolken, besamt, und die Kadaver wurden geborgen, die der Wolf auf der Weide zurückgelassen hat – sinken die Bauern und Bäuerinnen Brandenburgs und ihre Haustiere vor den Fernsehapparaten nieder. Warum tun sie das? Um eine Stunde lang die schönsten S-Bahnhöfe bzw. die schönsten U-Bahnhöfe, die schönsten Schlager der 60er oder die schönsten öffentlichen Pissoirs im wiedervereinigten Berlin zu sehen? Und um ganz am Schluss aufzuwachen und mitzufiebern, ob »auf Platz 1« wenigstens eine Pissbude aus der DDR gelandet ist? Und um dann unter die Federbetten zu kriechen und sich zu sagen: Der RBB ist zwar ein Feindsender (jedenfalls zur Hälfte) und mit unseren Gebühren feiern sie Grillpartys – aber sie geben sich doch Mühe mit uns!

BECK

Die Quoten für die Zweiländeranstalt liegen an manchen Tagen noch immer im messbaren Bereich. Kommunikationswissenschaftler sind irritiert. Eigentlich erfüllt das Programm keines der Kriterien, die Erwachsene in einem Alter von 50 bis 100 Jahren (Jüngere werden nicht mehr befragt, da ihr Rezeptionsverhalten das Endergebnis kaum beeinflussen dürfte) zum Einschalten bewegen könnten. Es ist weder aktuell noch attraktiv noch interessant. Wer es täglich sieht – so lautet eine inzwischen allgemein anerkannte Theorie –, tut dies, weil er den Fernsehempfang in seine »Abendroutine« (abschließender Gang zur Toilette, Gebiss entfernen, Bett aufschütteln) einbezieht oder aber sich – das ist der Untersuchungsaspekt der »Lebensroutine« – aufs Sterben vorbereitet.

Was die Forschung in ihrem Drang zur Objektivierung vernachlässigt, ist die emotionale Ebene. Das »Hauptstadtfernsehen« plus angeschlossene Ackerflächen wird nämlich inzwischen vor allem aus Mitleid gesehen. Nach dem Motto: Alle Achtung – die haben kein Geld und trotzdem bleibt die Mattscheibe nicht dunkel! Und wenn, wie fast immer, der lustige Ulli Zelle wieder auftaucht, der so witzig Geräusche mit dem Mund nachmachen kann und schon wieder von seiner Begegnung mit Udo Lindenberg erzählt (muss irgendwann in den Nachkriegstrümmern gewesen sein), dann ist die Welt für die Zuschauenden beiderlei Geschlechts auch in Ordnung.

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Der Sender macht also alles richtig (die neue Intendantin ist zu beglückwünschen, obwohl sie sich, wie man »im Hause« weiß, eigentlich nur mit den Pensionsansprüchen in Ehren ausgeschiedener Spitzenkräfte beschäftigt): Das Programm weckt die kollektive Erinnerung an bessere Zeiten, also an Kreuzberger Nächte und Paraden einer begeisterten Jugend in der Hauptstadt der DDR. Neben Wowereit und Didi Hallervorden für den Westen, stehen Frank Schöbel und Helga Hahnemann für die schönen Seiten der DDR.

Überhaupt gibt man sich große Mühe, die DDR vor allem niedlich zu finden – auch in dieser Rolle wieder sehr gut der Ulli Zelle, der gern in Ostberlin ins Theater gegangen ist, sogar zu Brecht. Das Wort »SED-Diktatur« ist seit der Enttarnung von Patricia Schlesinger als inoffizielle Meistverdienerin überhaupt nicht mehr über den Sender gegangen. Die ostdeutschen Widerstandskämpfer sind nur noch skurrile Figuren in langen Dokus über die Achtziger, sozusagen neben Hallervorden die Humoristen auf der anderen Seite.

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Was allerdings noch aussteht, sind glaubhafte Entschuldigungen des Senders für seine in den Neunzigern hochtourig betriebene Hetze gegen die (bereits damals ehemalige) DDR. Vielleicht mit emeritierten Intendanten im Format des gemütlichen Nachmittagstalks »Gut & schön«. Eigentlich müsste dieses Format, im Rahmen der finanziellen Spielräume der Anstalt, »Gut & günstig« heißen. Aber diesen Claim hat schon EDEKA.

Auch die »Abendschau« wird guter und schöner. An einem monströsen Tisch, wie er gewöhnlich zum Einschläfern sehr großer alter Hunde gebraucht wird, steht oft ein schnöseliger Moderator in zu kurzen bunten Anzügen und abgetragenen Sneakern. »Du brauchst auch mal eine neue Hose«, sagt da die Bäuerin zum Bauern. Woran man erkennen kann, welch ungeheuren Einfluss das Fernsehen heutzutage immer noch hat!

FELICE VON SENKBEIL

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