Der Ziemiak-Killer

Während sich ganz Deutschland schlafen legt, brennt im zweiten Stock des Konrad-Adenauer-Hauses noch Licht. Es ist nicht der gewohnte wertkonservative Glühbirnen- und Öllampen-Schummer, der den neu eingerichteten Newsroom erleuchtet, sondern hochmoderne LED-Strahler. »Eine Referenz an die Zukunft«, sagt Lichtgestalt und CDU-Generalinfluencer Paul Ziemiak, der seine Partei mit einer wegweisenden Medienstrategie direkt ins digitale Neolithikum katapultieren will. An den mit gewagten Partei-Graffiti besprühten Newsroomwänden hängen große schwarze Flachbildschirme. »Sogenannte Flatscreens«, erklärt Technik-Freak Ziemiak. An dem silbergrauen Newsdesk, der an die Brücke von Raumschiff Enterprise erinnert, werkelt ein Dutzend Digital Natives von der Jungen Union an aufklappbaren Computern. »Sogenannte Notebooks«, klärt der General auf. »Heutzutage sind die Dinger so flach, dass sie in jeden Aktenkoffer passen.« Etwas, was Laptops mit Generalsekretären gemeinsam haben.

Seit mindestens drei Wochen hat Ziemiak kein Auge mehr zugemacht. In seiner Position kann er sich Schlaf nicht mehr leisten. Auch andere Grundbedürfnisse bleiben auf der Strecke. Das sei teilweise ganz schön hart, sagt er, wobei ihm der Sexverzicht die geringste Umstellung abverlange. »Der ist mir noch vertraut aus meinen Jahren bei der Jungen Union«, sagt der 34-Jährige mit einem tragischen Lächeln. Auf den Schultern des Halbwüchsigen lastet die Zukunft der CDU. Mit seinem Konzept »Neu.Start.« will er die Partei für das digitale Zeitalter rüsten. Die 54 Schreibmaschinenseiten, die er dazu aus dem Internet abgetippt hat, wurden per Eilboten an sämtliche Funktionäre versandt. »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, sagt er. Zumal die Konkurrenz bereits vorgelegt hat. »Selbst die SPD hat schon einen eigenen Newsroom und surft munter drauf los, als gäbe es kein Morgen mehr, was in ihrem Fall ja auch zutrifft«, sagt Ziemiak und fügt hinzu: »Tränenlach-Emoji.«

Damit auf »Neu.Start.« kein »Ab.Sturz.« folgt, wurde die aktuelle Forschung berücksichtigt. Im Mittelpunkt der Recherche stand natürlich Merkels hellsichtiges Grundlagenwerk »Neu.Land.«, in dem sie bereits vor sechs Jahren den digitalen Wandel vorausahnte. »Bei der Lektüre fragt man sich immer wieder, wie unsere Kanzlerin das alles schon wissen konnte zu einer Zeit, in der die meisten von uns ihre Hassmails noch per Post oder in Form eines abgeschnittenen Pferdekopfs oder in Zeitungspapier verpackter Scheiße verschickten.«

Ab sofort will Ziemiak regelmäßig »Digital Boot Camps« ausrichten. »Keine Ahnung, was das heißt, aber ›Klausurtagung‹ klang irgendwie zu analog«, sagt er. Zur Premiere lud er alles ein, was in der Szene Rang und Namen hat oder, wie man auf Digitaldeutsch sagt, im Word Wide Web den Swag aufdreht. Darunter Influencer wie Cherno Jobatey, Frank Elstner und Uschi Glas. Ein »Reporting« widmet sich künftig der schicksalhaften Frage: »Worüber debattiert das Netz?« Zuvor will das »Boot Camp« allerdings klären: »Wer ist dieses Netz und wenn ja, wie viele?« Dazu hat Ziemiak bereits persönliche Berechnungen angestellt: »Auf Facebook habe ich 17 000 Freunde, 300 davon sind real. Nehmen wir an, jeder auf der Welt hat ähnlich viele Facebookfreunde, so ergeben sich daraus bei einer Weltbevölkerung von 7 Milliarden rund 2,1 Billionen User. Das ist ein unfassbares Potential an Menschen, die wir mit unseren Inhalten und Parteitags-Selfies erreichen können.«

Burkhard Fritsche

Über der ganzen Digitalisierungsoffensive steht der Schlachtruf: »Nie wieder!« Denn nie wieder soll ein Youtube-Nobody wie Rezo mit einem illegal produzierten Video (»Die Zerstörung der CDU«) die Union vor wichtigen Wahlen in Verlegenheit bringen können. Doch Ziemiak ist nicht nachtragend, im Gegenteil: »Mit seinem Beitrag hat uns Rezo bewusst gemacht, dass wir etwas tun müssen. Dafür müssten wir ihm sogar dankbar sein, wäre er nicht so eine miese kleine linksextremistische Kommunistensau.«

Ziemiaks Strategie für den Newsroom beinhaltet einen schon jetzt legendären Dreistufenplan: »Beobachten, Verbreiten, Eingreifen«. Tatsächlich kommen noch drei weitere Stufen hinzu: »Zuschlagen, Vernichten, Endsiegen«. Das wichtigste Instrumentarium für die Umsetzung ist der sogenannte »Krisenradar«, auf den Ziemiak besonders stolz ist. »Sobald sich im Netz etwas zusammenbraut, haben wir es auf dem Schirm und werden mit den entsprechenden Mitteln zuschlagen, bevor wir getroffen werden«, erklärt der Generalmajor mit aufgerichteten Ohren vor einer Weltkarte mit Leuchtdioden. »Wir reagieren nicht erst, wenn der Shit – storm tobt, sondern bereits beim leisesten Pups«, sagt Ziemiak. Von der Berliner Leitstelle aus wird dann umgehend der zuständige Ortsverband alarmiert, wozu die CDU die örtlichen Feuerwehrsirenen nutzen darf. Hier komme der Partei die hohe Kommandantendichte in ihren Reihen zugute, wie Ziemiak löblich erwähnt. »Noch sind nicht alle Feuerwehrkameraden zur AfD abgewandert.«

Die CDU will im Netz »schlagfertiger« werden. Dazu will Ziemiak die Ortsverbände von parteibürokratischen Hindernissen befreien und die berüchtigten »13 Freigabeschleifen« auf ein Minimum reduzieren. Wollte ein einfaches Parteimitglied einen Post absetzen, so musste es bisher zuerst einen Antrag beim Ortsverbandsvorsitzenden (1) stellen, der das Anliegen an die zuständige Kreisebene weiterleitete (2), die wiederum die Landesebene einschaltete (3), wo in einem Fachausschuss (4) über die Zuständigkeit des Posts beraten wurde (5), ehe über ihn auf einer außerordentlichen Landesdelegiertenkonferenz (6) eine vorläufige Entscheidung fiel (7), um dann in einer überarbeiteten Form (8) dem Generalsekretär überbracht zu werden (9), der den Post dem Kanzleramt (10) zur Unterschrift (11) vorlegte, das den Post in überarbeiteter und abgesegneter Form zur eigenen Entlastung an den Ortsverbandsvorsitzenden zurücksendete (12), der sich jedwede Änderungen vorbehielt, um seine Version dann erneut an die Kreisebene weiterzuleiten (13), und so weiter und so fort.

Neben der neuverordneten Schlagfertigkeit setzt man bei der digitalen CDU fortan auf eine »zielgruppenspezifische« Ansprache. Als neulich Alice Weidel in einem Facebookpost mal wieder Merkels Flüchtlingspolitik als Volksverrat geißelte, kommentierte einer von Ziemiaks Kriegern mit den Worten, Weidel sei die »wahre Volksverräterin und, was noch viel schlimmer ist, eine Lesbe«, und fügte dem ein passendes, eigens kreiertes Galgen-Emoji hinzu. Der Post sammelte auf Anhieb viertausend Likes, darunter auch einige aus der AfD. »Wir sehen darin einen Beleg dafür, dass wir mit unserer neuen zielgruppenspezifischen Ansprache auch abtrünnigen Nazis bei der CDU wieder eine digitale Heimat bieten können«, sagt Ziemiak.

Bei allem Spaß am Wettbewerb im Netz und auf dem digitalen Schlachtfeld, fügt er hinzu, dürfe die Union jedoch ein Ziel nie aus den Augen verlieren: das öffentlich-rechtliche Internet.

FLORIAN KECH