Absturz der Turteltauben

FERNSEHEN

Ein Beben ging durch die ARD. Natürlich lässt sich eine stattliche Fernsehanstalt nicht so leicht erschüttern. Aber der Kaffee in den Tassen schlug kleine Wellen, als die Türen der Senderchefs knallten. Das Quotenflaggschiff, die Schweizer Bank, das Familiensilber der ARD ist in Gefahr.

Kurz vor der Volljährigkeit der Dauer-Telenovela »Sturm der Liebe« stürzten die Zuschauerzahlen ab. Statt der üblichen ein bis zwei Millionen (je nachdem, ob die Komatösen mitgezählt werden oder nicht) schalten nur noch 890 000 Fans den Fernseher ein. In der dramatisch wichtigen, der werberelevanten Zielgruppe 14 bis 49 waren es nur noch 10 000 Menschen. Das sind so viele, wie beim Tag der offenen Tür im Finanzministerium vorbeischauten.

PIERO MASZTALERZ

Was ist passiert? Ist es die Kurzhaarfrisur der aktuellen Traumfrau? Sind die neuen Darsteller nicht arisch genug? Oder haben sich die Tagesabläufe in Altersheimen geändert? Eigentlich ist zehn nach drei von Montag bis Freitag für fast eine Stunde Ruhe im Heim. Der Windelwechsel kann warten, bis einer der süßen Boys seine Liebe gestanden hat und die Auserwählte beginnt, mit ihrer inneren Stimme zu sprechen. Aber plötzlich machen die einst treuen Fans etwas anderes um diese Zeit. Vermutlich schlafen oder tindern.

Im Sender jedenfalls, liegen die Nerven blank. Dabei hat sich in der Serie seit fast 4000 Folgen nicht viel verändert. Die Männer haben Druck und stellen ihrer Traumfrau nach. Die Frau ist emotional zerrüttet und meint sich entscheiden zu müssen. Irgendwann gibt sie dem Alpha-Typen nach und es mündet in die Ehe. Damit ist ein Kapitel beendet und ein neues Traumpaar erscheint am Fürstenhof. Nebenbei wird ein wuseliger Hotelbetrieb und ein Gestüt bespielt. Idylle des arbeitsamen Mittelstandes, gepaart mit einem Hauch von Luxus.

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Das Hotel befindet sich in Familienbesitz, also eine kleine Dynastie im Alpenvorland. Die Gäste spielen kaum eine Rolle und das Personal lebt in freiwilliger Leibeigenschaft. Das Rentnerpaar ist in die Kulisse eingewachsen und wird beim Kartoffelschälen friedlich einschlafen, sollte die Serie nicht vorher abgesetzt werden.

So schön das alles klingt, es interessiert viele Fans nicht mehr. Ist ein florierender Hotelbetrieb unglaubwürdig geworden? Oder liegt es am Paarungsverhalten der Hauptfiguren? Womöglich sind die Rollenbilder veraltet?

Niemand rennt mehr wochenlang mit Druck auf Herz und Hose rum, ohne sich dem ersehnten Geschlechtspartner zu offenbaren. Ein Emoji und dann Daumen hoch oder runter, fertig. Es werden auch keine Küsse mehr ohne beiderseitiges Einverständnis verteilt, die dann zu Gefühlsirritationen oder Anzeigen führen könnten.

Der »Sturm der Liebe« ist abgeflacht.

Vielleicht sind die Geschlechter zu eindeutig, die Beziehungsmodelle zu langweilig und die Storys zu absehbar? Der Ehevertrag taugt womöglich nicht mehr als Staffelhöhepunkt? Seit der ersten Folge hat Headautor Dr. Peter Süß die Macht über den Fürstenhof. Also ein alter, weißer Mann. Mit ein paar dunkelhäutigen Darstellern, arabischen Vornamen und ab und zu einem Homopärchen hat man versucht, der Realität etwas näher zu kommen. Aber das reicht nicht mehr aus.

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Der Fürstenhof sollte umziehen. In einen Brennpunktkiez in Frankfurt oder Hamburg vielleicht. Oder man könnte eine Reichsbürgersekte in dem Schlösschen einquartieren. Statt des Gestüts (welches die Ökobilanz sowieso versaut und den Sender viel Geld kostet) könnte eine Hanfplantage das zweite Standbein sein. Im Fanshop könnten Haschkekse verkauft werden und Ökoaktivisten oder BDSM-Swingerfreunde könnten sich zu Seminaren im Hotel einmieten.

Die Traumpaare hätten schon Kinder aus früheren Beziehungen und bringen noch andere Partner, vielleicht mit Einschränkung, mit. Zum Beispiel eine pansexuelle Transfrau mit Kinderwunsch verliebt sich in einen verheirateten Homosexuellen mit Schuppenflechte und afghanischem Pflegekind. Das wäre romantisch, familienfreundlich und spannend über die nächsten 3000 Folgen. Aber auf solche Ideen müssen die Autoren schon selbst kommen.

Erst mal bleibt alles beim Alten. Die ARD hat entschieden, der »Sturm der Liebe« wird weiter wüten, auch wenn niemand mehr zuschaut.

FELICE VON SENKBEIL

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