Der DBöse

UNSERE BESTEN

Irgendwo in Deutschland. Ein Schmetterling, ein Tagpfauenauge gar, schlägt mit seinen Flügeln. Ein kaum wahrnehmbarer Lufthauch entsteht, ein Aufstrom wird unmerklich verstärkt. Moleküle tanzen sacht in der Atmosphäre, Wolken vereinen sich, stoßen in Kaltluftgebiete. Kleine Nuancen summieren und potenzieren sich. Als Folge wird schließlich der Jetstream unterbrochen. Plötzlich fallen pflastersteingroße Hagelkörner vom Himmel und zerstören sämtliches Leben in Europa. Doch wo war der ICE, der den Schmetterling mühelos mit 330 km/h auf seiner Windschutzscheibe hätte zerplatzen lassen können? Er stand still, weil ein Mann dies wollte, der so dämonisch ist, dass sein sächsischer Akzent nicht ausreicht, um seine Bosheit hinlänglich zu illustrieren.

Claus Weselsky, der leibhaftige Chef der Gewerkschaft der Lokomotivführer, ist Deutschlands meistgehasster Schnurrbartträger und Gelegenheitscholeriker, der angetreten ist, um sich und allen in der GDL organisierten Mitarbeitern ohne jegliche Rücksicht auf Verluste vom Bahnkonzern die Testikel vergolden zu lassen. Weselsky – das ist der Grund für wohl jeden Missstand in der Bahn. Wie würde das Unternehmen florieren, wenn nicht Claus Weselsky höchstpersönlich ständig die Wagenreihungen durcheinanderbrächte, die Rolltreppen sabotierte und an jedem Wochenende die S-Bahnen vollkotzen würde? Und wie entspannend wäre ein planmäßiger 20-Minuten-Aufenthalt einer Regionalbahn im Bahnhof, wenn Claus Weselsky nicht bei jedem Schließen der Zugtür nervige Piepsgeräusche machen würde?!

Zeichnung: FRANK HOPPMANN



Warum aber tut der Mann das? Seine Motive sind so undurchschaubar wie das wabenbasierte Preissystem des Verkehrsverbundes Rhein-Neckar oder die Sitzplatznummerierung im ICE. Der Mann ist kein Kommunist. Er war nicht mal in der SED. Jetzt ist er CDU-Mitglied. Warum wiegelt er eine Gewerkschaft gegen das ganze Land auf? Denkt er nicht ein Mal an die Kinder? Haben die nicht schon genug gelitten? Der Gewerkschaftsboss scheint eine Lust entwickelt zu haben, Deutschland am Schlafittchen zu fassen und so fest zuzudrücken, als wollte er die Tür eines in die Jahre gekommenen ICs öffnen. Er macht uns rasend mit dem Warten auf einen Regelverkehr. Unser Leid scheint ihn zu ergötzen. Dabei ist ihm anscheinend jedes Mittel recht – und sei es eine kleine Gewerkschaft.

Doch wer ist dieser Mann eigentlich? Um dies herauszufinden, sollte man zunächst nüchtern die Legenden betrachten, die sich um die Nummer Eins der deutschen Streithammel ranken wie wilder Hopfen um die Räder eines Güterwaggons auf dem Abstellgleis. Es gibt zahllose Legenden. Eine besagt, dass sich vor 62 Jahren am Dresdner Hauptbahnhof ein Gleis zur Hölle öffnete, durch das der kleine Claus so schnell hereingeschossen kam, dass keine Zeit mehr zu einer Lautsprecherdurchsage blieb, die zur Vorsicht an der Bahnsteigkante aufrufen konnte. Sein Auftrag vom Fürsten der Finsternis: Unglück über all jene bringen, die im Besitz einer Bahncard 25 sind und regelmäßig bei der Benutzung der Bordtoilette dem Risiko ausgesetzt sind, sich Chlamydien einzufangen.

Weselsky lernte schnell und mit dem Ziel, den Auftrag seines Herrn und Gebieters befolgen zu können. Schon als Baby soll er sich von Stillstreik zu Stillstreik gehangelt haben. Man hört, er wiegelte Krippenkinder auf, nicht aufs Töpfchen zu gehen, und wollte beim Mittagessen immer und immer wieder Nachschlag auf seinen Teller. Wenn die Kinder sich aufstellten, um »Tuff, tuff, tuff, die Eisenbahn, wer will mit zur Oma fahr’n?« zu singen, schrie der kleine Claus, warf sich der Kette entgegen, schlug und trat wild um sich.

So einer ist nicht normal. Eine Kindergärtnerin erinnert sich: »Er wollte uns schaden. Wollte verhindern, dass wir unsere bunten Anschlusszüge aus Holz bekommen und hasste alles, was sich bewegte.« Was einst als niedlicher Charakterzug eines heranwachsenden Psychopathen gegolten haben mag, ist längst zum gesamtgesellschaftlichen Problem erwachsen. Denn heute ist Weselsky mächtig und terrorisiert ein ganzes Land. Angst, das ist es, was die Leute empfinden, wenn sie sehen, wie seine Schnurrbarthaare vor Wut vibrieren, wenn er in den »Tagesthemen« in die Kamera schreit, was für ein Schweineunternehmen die Bahn ist. – Aber ist das so? Würde ein Schweineunternehmen Kinder ohne gültige Fahrerlaubnis bei minus 25 Grad hinauskomplimentieren, damit sie im tiefen Schnee friedlich einschlafen können? Oder böte es unter dem Vorwand einer ausgefallenen Klimaanlage im Hochsommer einen erstklassigen Saunagang an? Wahrscheinlich ja.

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Dennoch macht Weselsky es sich mit seiner GDL viel zu leicht. Wie viele Stuttgart-21s könnte man von dem Geld bauen, das eingespart würde, würden die Lokführer auch nur auf zehn Prozent ihres Gehalts verzichten? Warum kann die GDL nicht konstruktiv sein? Warum stellen sich ihre Mitglieder, anstatt zu streiken, nicht auf die Bahnhöfe und erklären alten Leuten über 30 die Funktionsweise der Ticketautomaten? Das sind die Fragen, die man Claus Weselsky stellen müsste. Aber er will sie nicht hören. Lieber verbarrikadiert er sich in seiner gewerkschaftlichen Bahnwagenburg. Lächelnd hat man ihn nie gesehen. Die schlechte Laune haftet an ihm wie Haarschuppen an den Kopflehnen eines 6-Personen-Abteils.

Ja, Claus Weselsky ist eine Zumutung. Eine ganz besondere, wenn man sich für links hält. Denn dann darf man sich aus ideologischen Gründen nicht über Bahnstreiks ärgern. Wenn man als sozialistischer Endverbraucher nicht jeden Streik mit Langmut und ohne jegliches Murren erträgt, dann siegt am Ende das Kapital. So steht es schon im Kommunistischen Manifest. Deshalb winden sich Linke, verteidigen diese Brut Satans und erniedrigen sich selbst, während sie auf den unüberdachten Bahnsteigen dieses Landes stehen und auf den nächsten Interregio-Express warten, der sie vielleicht in fünf Stunden zu ihrem nächsten Tierwohl-Plenum fahren wird.

Vielleicht genau in diesem Augenblick fährt Claus Weselsky auf dem Weg zum Flughafen in seinem Dienstwagen an ihnen vorbei. Man erkennt es durch die getönten Fensterscheiben schlecht, aber trägt er einen Zylinder auf dem Kopf und hat eine Zigarre im Mund? Und winkt er einem höhnisch mit der Arbeiterfaust zu? Entsteht dabei ein Luftwirbel? Summieren und potenzieren sich Nuancen, und es beginnt augenblicklich ein gewaltiger Platzregen? Den Hass hat sich Claus Weselsky redlich verdient!

ANDREAS KORISTKA