Zwei von jeder Art

Auf dem Weg nach Hause kam Herr No­ah gerade am Hauptbahnhof vorbei, als ihn ein unbeschreiblich großer Appetit auf Buletten überkam. Am Bahnhofskiosk gab es kein Hackfleisch, und je mehr er an Buletten dachte, desto verzweifelter wurde er.

An der Straßenbahnhaltestelle traf er auf einen jungen Mann im Krankenhaushemd. Auf dessen abgewetztem Patientenarmband stand »Peter« oder »Alexander«, so genau konnte man das nicht sagen, denn es war wirklich sehr abgewetzt. Nachdem er es bei den anderen Wartenden ver­sucht hatte, sprach er auch Herrn Noah an, ob dieser nicht Interesse hätte an dem, was er da im Angebot habe. Herr Noah traute seinen Augen kaum, hatte der Typ im Patientenhemd doch tat­sächlich zwei Kilogramm Hackfleisch bei sich. »Premiumqualität« und »bestes Fleisch diesseits des Äquators« waren die Worte, mit denen er sein Hack zum Verkauf anbot.

FRANK BAHR

Herr Noah war skeptisch, doch der Hunger verdrängte alle Zweifel. Er zahlte den erstaunlich geringen Betrag und begab sich eilig nach Hause, wo er die rohe Fleischmasse formte und zu ei­nem gigantischen Bulettenberg aufstapelte.

Das, was er da geknetet und gebraten hatte, war an Köstlichkeit nicht zu überbieten. Binnen kurzer Zeit hatte er alle Buletten allein aufgeges­sen.

In dieser Nacht schlief Herr Noah sehr schlecht.

Sein Magen rebellierte und kurz nach drei Uhr wurde er wach und ging ins Badezimmer. Dort erschien ihm plötzlich der liebe Gott persönlich auf dem feuchten Badewannenvorleger. Gott führte einen längeren Monolog, zeigte sich insgesamt zufrieden mit den bisherigen Leistungen des Herrn Noah und forderte ihn dann auf, zwei von jeder Art zu nehmen.

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Wofür, konnte Herr Noah aber nicht mehr in Erfahrung bringen, da er in diesem Moment wieder zu sich kam. Kalt rann ihm der Schweiß von der Stirn, sein Herz pochte so stark, als wollte es ihm jeden Moment aus der Brust springen.

Zwei von jeder Art?! Mit zittrigen Händen zog er sich am Wannenrand hoch. Zwei von jeder Art. Kam das nicht auch schon in der Bibel vor? Da wurde Herrn Noah plötzlich klar, was Gott von ihm wollte.

Schnell schlüpfte er in seinen Bademantel und rannte in Pantoffeln auf die nächtliche Straße. Zwei von jeder Art hätte er bestimmt im Zoo finden können, aber um die Uhrzeit fuhr kein Bus mehr und die Strecke war zu weit für einen, der Pantoffeln an den Füßen trug. Zwei Straßen weiter befand sich eine Zoofachhandlung, die musste reichen.

Mit einem Fahrrad, welches vor dem Geschäft abgestellt war, warf er die Scheibe ein. Sämtliche Kleintiere verfielen in Panik oder Schockstarre. Herr Noah stopfte, was er greifen konnte in seine Taschen. Egal ob mit Fell, Federn oder Schuppen, er nahm sie alle und von jeder Art zwei. Dabei unterschätzte Herr Noah, dass es nicht immer einfach war, das jeweilige Geschlecht zu bestimmen. Mitunter wehrten sich die Tiere, bissen oder kratzten, während Herr Noah sie nach ihren Fortpflanzungsorganen absuchte.

In der Ferne konnte er bereits die Sirenen der sich nähernden Polizeiwagen hören. So schnell, wie er in seinen Pantoffeln nur konnte, eilte Herr Noah nach Hause. Aus seinen Manteltaschen quiekte, pfiff und trillerte es, doch er war in göttlicher Mission unterwegs und ließ sich nicht beirren

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Zu Hause angekommen, zog er zwei von jeder Art durch seinen Fleischwolf und briet einige davon in heißem Fett zu saftigen Buletten. Am besten gelangen ihm Nymphensittich- und Degu-Buletten. Die Chinchillas schmeckten auch nicht schlecht, doch bekam er davon Sodbrennen. Ehrfürchtig dankte er Gott für die Vielfalt seiner Schöpfung.

Den Rest der Nacht und den kommenden Tag über schlief Herr Noah tief und traumlos. Als er am späten Nachmittag erwachte und die Küche betrat, sah er, dass das restliche Hackfleisch bereits anfing sich zu verfärben. Herr Noah hatte keine Wahl – noch im Bademantel und mit Pantoffeln an den Füßen machte er sich auf den Weg zum Hauptbahnhof.

An der Straßenbahnhaltestelle standen Menschen, die von der Arbeit kamen. Sie sahen hungrig aus. Mit den Worten »Premiumqualität« und »bestes Fleisch diesseits des Äquators« ging Herr Noah von einem zum anderen und pries seine Ware an. Und siehe da: Eine junge Frau riss ihm die Tüte mit dem Hackfleisch förmlich aus der Hand, zahlte den aus ihrer Sicht erstaunlich geringen Betrag und begab sich eilig nach Hause, wo sie die rohe Fleischmasse formte und zu einem gigantischen Bulettenberg aufstapelte.

ROBERT CLAUS

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