Geile Fingerkuppen

FERNSEHEN

»Ah! Sex? Was war das noch mal?«, fragen sich sicher viele WDR-Zuschauer, wenn sie zufällig bei der neuen Dokureihe »Ohjaaa!« hängen bleiben. Seit die Girls vom Fernsehballett ihre Brüste nicht mehr zeigen wollen und die Schulmädchen-Reporte nur noch im Darknet laufen, gibt es wenig zum Aufgeilen im Öffentlich-Rechtlichen, von Judith Rakers und Ingo Zamperoni mal abgesehen.

»Ohjaaa!« macht Hoffnung auf etwas nackte Haut und Gestöhne, ohne sich dafür mit dem Handy im Badezimmer einschließen zu müssen. Das Moderatoren-Team – Annabell Neuhof und Yared Dibaba – ist bunt gemischt. Und mega nett. Statt eines alten, weißen Mannes sitzt ein mittelalter, schwarzer Mann mit einer quirligen, sehr empathischen Quasselstrippe auf dem Sextalksofa. Drumherum: Tittenkissen und »FUCK« in Großbuchstaben.

RUTH HEBLER

Da wird es doch zur Sache gehen, würde man meinen. Gleich werden die Sextoys auf den Tisch gepackt oder direkt ausprobiert. Truckermöse oder Doppeldildo und was es alles gibt. Und die beiden werden »dirty talk« machen und sich später auf der Sofalandschaft wälzen. Vielleicht werden Paare beim Liebesspiel gezeigt, ganz respektvoll und natürlich – aber geil. Womöglich könnte die Gattin wieder »zu ihrer Lust kommen«, zu Hause vor dem Flachbildschirm.

Das wäre schön und einfach, aber »Ohjaaa!« will viel mehr, nämlich reden.

Zum Beispiel über Solosex. Das einzige Thema, womit sich wohl jeder auskennt. Das Autorenteam anscheinend nicht so richtig. Ich werde rot, sagt der Moderator und ist froh, dass man ihm das nicht ansieht. Sie meint, dass sie sich wahnsinnig schämt, mit ihren Freundinnen über ihre Vulva zu sprechen. Aber es muss sein. Viel zu lang war dieses wunderbare Organ nur ein Loch zum Rein- und Rauskommen. Aber mit dieser Sendung soll aufgeklärt werden.

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Zunächst wird der Penis besprochen. Ein Urologe, »mit dem man erstaunlich offen reden kann«, gibt den Startschuss: »Wichsen ist gesund und weicht nicht das Gehirn auf.« So oft es der Bürojob zulässt, sollte man sich selbst glücklich machen. Die harten Fakten werden im Infokasten zum Mitlesen eingeblendet: »Solosex steigert die Erektionsfähigkeit und senkt das Risiko für Prostatakrebs.« Und ist natürlich »meeegaaa schööön«. Die Moderatorin kichert und jauchzt vor Begeisterung. Das Moderatoren-Team hat sich vorgenommen, so natürlich wie möglich durch die Sendung zu führen, also im Dialog wie: »Sag mal, hättest du gewusst, dass die Vulva so ein komplexes Ding ist?«

»Ich bin Mitte dreißig und weiß nichts über meine Möse.« »Sag, bloß? Wie wär’s mit einem Seminar?«

»Oh jaaa, der Vulva mal hallo sagen!«

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Jetzt wird’s endlich geil, denkt vermutlich der WRD-Zuschauer – ein Sexseminar, ein Fummeltraining, eine Orgie. Aber leider nicht. Tatsächlich lässt sich die Moderatorin in einem Workshop bei einer zertifizierten Mösenmassage mal so richtig verwöhnen, auf Kosten des Gebührenzahlers wieder mal. Aber statt der heißen Bilder: Animationen fliegender Strichweibchen und Meeresrauschen.

In jeder Sendung werden Fachleute zu Rate gezogen. Neben einer Gynäkologin sind viele Therapeuten, Coaches, Heiler und Experten dabei. Es geht um Achtsamkeit, Loslassen, Gehaltenwerden, In-die-Lust-finden und Bauchgefühle. Einsame Germanistikstudentinnen und einfühlsame Yogalehrer streicheln einander die Fingerkuppen und sind mega offen.

»Ohjaaa!« trägt eine frohe Botschaft in die Welt hinaus: Sex ist schön – aber nicht immer gleich reinstecken!

FELICE VON SENKBEIL

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