Achtung, schmutzige Wörter!

FERNSEHEN

Die Degeto, die Deutsche Gesellschaft für Ton und Bild, schenkte der Menschheit bereits Perlen der TV-Unterhaltung wie: »Oktoberfest 1900«, »Unsere wunderbaren Jahre«, »Für immer Sommer 90« und etliche Herz-Schmerz-Schmonzetten in der ARD. Nun hat man wieder mal ein weißglühendes Eisen angefasst: Rassismus im Nachkriegsdeutschland. Das gab es doch gar nicht, dachte man lange. Bis Heino die schwarzbraune Haselnuss besang. Hatte der deutsche Volkskörper nicht gründlich dazugelernt und schließlich beschlossen, dass er von einem gewissen Adolf zum Judenhass hinterhältig verführt worden war – deshalb hieß er ja Führer? Die Leute wedelten mehrheitlich mit ihren Entnazifizierungszertifikaten und versprachen, ab morgen als Demokraten aufzuwachen – tolerant, achtsam, tierliebend und nett zu anderen minderbegabten Rassen –, wenn der Onkel aus Amerika weiterhin Geld schicken würde.

Cartoon: HOLGA ROSEN

Der ARD-Sechsteiler »Ein Hauch von Amerika« aber behauptet knallhart was anderes. Sogar das N-Wort sollen die damals gesagt haben! Und manchmal bringen es die Figuren in dieser Serie sogar über die Lippen. Meist nett gemeint: »Negro okay!«, kicher, kicher.

Das ist heutzutage anders. Selbst in den Untertiteln, wenn die Amis unter sich plaudern und scherzen, ist nur ein verschämtes »N…« zu lesen. Mit einer Einblendung vor jeder Folge werden die Zuschauer zusätzlich darauf eingestimmt, dass ihnen in diesem Fernsehspiel Schreckliches widerfahren, dass ihnen unvermittelt »rassistische Sprache« begegnen könnte. Warum? Damit sie sich nicht erschrecken? Damit nicht durch das N-Wort der alte Rassist, der alte Menschenhasser in ihnen neu erwacht? Damit sie ihrem Lieblingssender nicht böse sind, dass er schmutzige Wörter nicht gleich mit einem Piep versieht? Damit sie die ARD-Chefs nicht für Rassisten, sondern für grundgute Menschen halten, denen auch weiterhin die Gebühren zufließen sollen? Oder damit die Zuschauer mit den Rassisten, die ihnen in diesem Werk begegnen, nicht allzu hart ins Gericht gehen, sondern »die Tiefe« der Figuren erfassen und sich sagen: Tja, die Armen hatten ja noch keine Warntafeln, die sie über die Verwendung des N-Worts aufklärten? Sie standen ihrem Rassenhass quasi hilflos gegenüber. Also, danke, ARD, dass du das zarte Publikum vor dem N-Wort warnst (sowie vor Pollenflug und Mondfinsternis), sonst wäre der Film ja Körperverletzung, womöglich mit Todesfolge, oder wenigstens Aufforderung zum Rassenhass.

Der Inhalt lässt sich leicht zusammenfassen: Die sehr blonde Jungbäuerin Marie sieht die Hautfarbe des netten G.I.s George Washington gar nicht. Erst ist sie zu wütend. Später ist sie zu verliebt. Er soll ihr einfach die Kartoffeln ersetzen, die bei der Explosion eines amerikanischen Blindgängers samt eines süßen Terriers in die Luft geflogen sind. Mehr will sie vorerst nicht von George. George aber schon.

Der junge Mann ist – man ahnt es aufgrund des Vorgeplänkels um das N-Wort – eine »Person of Color« (PoC). Er ist übermütig, will das taffe Fräulein kennenlernen und stellt ihr nach. Er wünscht sich »ein Mädel, weiß wie ein Bettlaken«, wie er seinem Kumpel sagt (nicht rassistisch gemeint). Er mietet sich bei Maries Eltern ein, netten einfachen Leutchen, die das Dritte Reich wahrscheinlich verschlafen haben. Seine Handlungsweise könnte man auch Stalking nennen, aber damals gab’s das noch nicht.

    Anzeige

Marie jedenfalls weist den G.I. ab (wir ahnen: vorerst, denn es ist ja eine Serie), obwohl er hübsch ist und Geld hat. Sie wartet lieber auf die Rückkehr ihres Verlobten aus der Kriegsgefangenschaft. Und wie vom Zuschauer erwartet, kommt der Krieger zurück und es wird unschön, denn er will seine Braut nicht teilen. Eine normale Reaktion. Und oh Wunder: Die Hautfarbe des Nebenbuhlers ist auch dem Heimkehrer aus Hitlers Rassenkrieg egal.

Rassismus wie aus dem Bilderbuch erlebt George dafür in den eigenen Reihen. Er wird von Vorgesetzten gedemütigt und sogar – unter Vortäuschung von Gründen – verhaftet. Rassismus in der US-Army? Das wäre möglicherweise auch eine Geschichte gewesen! Aber Degeto entschied sich für diese wundervolle Lovestory.

Die Blonde und der Schwarze »überschreiten die Linie« (O-Ton Marie) und wissen danach, dass sie nichts auf der Welt mehr trennen kann. Sie sind »over the rainbow« und nicht mehr in diesem mit Braunfilter belegten Kaff.

Neben so viel Liebe müssen die Nachkriegsklischees natürlich nicht zu kurz kommen: Der Bürgermeister, der den Juden auf dem Gewissen hat und dessen Haus bewohnt. Der Überlebende, der die Bewohner an deren Verbrechen erinnert. (Marie und Familie waren aber zum Glück nicht dabei!) Das Amiflittchen, das für seine Sünden bezahlen muss. Die Frau vom U.S.-General, eine aufgeklärte, vereinsamte und dem Alkohol verfallene Exildeutsche …

Und nun? Es könnte böse enden für das mixed couple. Im US-Amerika der 50er-Jahre wären die beiden nicht mal gemeinsam in den Bus gekommen. Aber in einer Degeto-Serie wird nicht gelyncht. Das wäre zu wenig Fiktion. Stattdessen kommt man mit einem genialen dramaturgischen Trick um die Ecke, welcher der Existenz des anderen deutschen Staates zu verdanken ist: Man lässt die Liebenden in die DDR fliehen. In eine Welt, in »der wir das Gebäude umstürzen, den Keller reinigen, ein neues Wohnhaus für die Menschheit bauen«, zitiert Marie, das Bauernmädchen, Jack London. Und in dem der Rassismus offiziell als überwunden gilt. Ausgerechnet beim Klassenfeind! Die Verzweiflung der Degeto-Autoren muss gewaltig gewesen sein.

FELICE VON SENKBEIL

EULENSPIEGEL Newsletter:

Jeden Dienstag und Donnerstag!