Ruhe, bitte!

Juli 2023.

Deutschland schwitzt. Inmitten der von einer Diskussion über menschengemachten Klimawandel und Wärmepumpen aufgeheizten Atmosphäre regen Amtsärzte eine Siesta für die Beschäftigten an. Im Bundesarbeitsministerium schrillen alle Alarmglocken.

»Wie? Was?« Herr Michel schreckt von seinem Schreibtisch hoch. Noch halb benommen taumelt der Behördenmitarbeiter in seinem stickigen Büro zum Waschbecken, klatscht sich eine Handvoll Wasser ins Gesicht und versucht, den Stempelkissenabdruck von seiner Wange zu wischen. »Ich muss vor Erschöpfung kurz eingenickt sein«, murmelt er und weist anklagend auf den sich türmenden Ablagestapel ausgefüllter Antragsformulare. »Alles nur für die Anschaffung eines 92 Euro teuren Handventilators aus dem ministeriumseigenen Etat«, stöhnt Michel. Dabei gelte es gerade jetzt einen kühlen Dez zu bewahren. »Seitdem aus den vollklimatisierten Arztpraxen der Gesundheitsämter der Vorschlag einer verlängerten Mittagspause nach südeuropäischem Vorbild gekommen ist, macht mir mein Chef die Hölle heiß. Nur weil sein SPD-Parteifreund Lauterbach die Idee begrüßt, müssen wir nun im Hochsommer darüber brüten, inwiefern sich ein solches Modell auch hierzulande realisieren lässt, ohne dass den Arbeitgebern trotz Temperaturen jenseits der 30-Grad-Marke gleich ein eisiger Schauer über den Rücken läuft.«

KRIKI

Auch das Thermometer in Herrn Michels Amtsstube zeigt mittlerweile 31 °C an. Der 58-Jährige blickt durchgeölt aus seinem Bürofenster auf die staubigen Straßen der Hauptstadt. In der flirrenden Hitze weht ein Büschel Tumbleweed über einen auf dem Radweg kollabierten Lieferando-Fahrer hinweg. Von der Einführung einer Siesta hält Michel indes nichts: »So etwas ist uns Deutschen völlig kulturfremd. Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass Rex Gildo – möge er in Frieden ruhen – in der ZDF-Hitparade jemals eine Siesta Mexicana besungen hätte. Von deren fragwürdigen arbeitszeitrechtlichen Bestimmungen mal komplett abgesehen.« Die Bürotür öffnet sich. Ächzend betritt sein Kollege den Raum. Die Suppe läuft ihm am ganzen Körper entlang. »Kartoffeleintopf aus der Kantine«, bemerkt er schulterzuckend, um sich sogleich zu entschuldigen: »Den kriege ich bei diesem Wetter wirklich nicht runter!« Dann macht er es sich auf einem in der Hängeregistratur eingespannten Tuch bequem. Über so viel Disziplinlosigkeit am Arbeitsplatz kann Herr Michel nur den Kopf schütteln. Schweißtropfen fliegen im hohen Bogen durch das Dienstzimmer. Von den spröden Lippen seines träge herumliegenden Arbeitskollegen erklingt ein Liedchen: »Hossa! Hossa! Hossa! Hossa! Siesta, Siesta Mexicana, heut‘ geh‘ ich zum Schlafen bis fünfe ins Bett.« Augenblicklich fängt die Luft zwischen den beiden Staatsbediensteten an zu brennen. Der Temperaturmesser klettert unaufhaltsam auf 37 °C. Michel wringt sein klatschnasses Hemd über dem Papierkorb aus und bindet sich zwei Tafelschwämme unter die triefenden Achselhöhlen. Draußen bleiben die ersten Autos im schmelzenden Asphalt stecken.

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Herr Michel bezweifelt, dass ein im kalten Beamtendeutsch verfasster Siesta-Erlass den vielen Millionen Beschäftigten hierzulande überhaupt Linderung verschaffen könnte: »Mir jedenfalls wird immer ganz warm ums Herz, wenn die Kollegen aus den anderen Fachabteilungen mit roten Bäckchen von ihrer ›Umsatzsteuerschlüsselzahlenfestsetzungsverordnung‹ oder dem ›Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz‹ schwärmen.« Aus eigener Erfahrung weiß er: »Das Zusammenkloppen derartiger administrativer Wortkreationen ist allerdings harte Maloche bis an den Rand der körperlichen Belastbarkeit.« Wenn bei 40 Grad im Schatten oben das Gehirn schon weichgekocht sei und unten einem noch zusätzlich Feuer unterm Hintern gemacht werde, sei an ein konzentriertes Arbeiten ohnehin nicht mehr zu denken. Dann purzele da nicht eben mal ein »Hochsommerhitzemeidungsarbeitsunterbrechungsgebot« aus einem Beamten wie der Apfel aus dem Anus eines südländischen Esels.

»Wem haben wir den Stress wieder einmal zu verdanken?«, schimpft Michel. »Natürlich diesem faulen Ausländerpack mit ihrer scheiß Siesta!« Das Quecksilberröhrchen des Wandthermometers ist inzwischen geplatzt. Sein in der Hängematte powernappender Kollege geht spontan in Flammen auf. Herr Michel wirft sich einen Hitzeschutzmantel über und beendet seinen heutigen Arbeitstag. In eineinviertel Stunden hat er Feierabend.

DANIEL SIBBE

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