Unterm Reifrock reift die Leidenschaft

FERNSEHEN

Junge Frauen von heute sind selbstbewusst, nehmen sich, was sie wollen bzw. kriegen können, und rennen keinen Schönheitsidealen hinterher. Sie lassen sich nicht auf ihr Äußeres reduzieren und stehen auf keinen Fall als Sexobjekt zur Verfügung.

Aber sie lieben Sissi! »Die Kaiserin« ist der aktuelle Serienhit auf Netflix. In 90 Ländern (von denen man in einigen weder Österreich noch Kaiser kennt) ist die Serie unter den Top Ten. In Deutschland belegt sie aktuell Platz 2, nach der Serie über den Menschenfresser »Dahmer«.

Das heißt, mit Prinzessinnen und Kannibalen sitzen die Menschen dieser Tage auf dem Sofa. Kannibalen sind ja von sich aus attraktiv – das ist noch verständlich, aber pummelige Mädchen in Tüllkleidern …

HANNES RICHERT

»Die Kaiserin« ist ein Kostümfilm. Die Kleider sind so präsent und opulent, quietschbunt und extravagant, dass jede noch so schwache Schauspielerin darin steht wie auf der Burgtheaterbühne. Die Outfits werden ständig thematisiert, wahrscheinlich um die jungen Leute bei ihren Lieblingsthemen abzuholen: Shoppen, Styling und irgendwie auffallen. Da war die echte Kaiserin von Österreich wohl wirklich Trendsetterin. Sie war egozentrisch, eitel und stilbewusst. Sie ließ sich Diamanten ins Haupthaar flechten, einen Anker auf das Schulterblatt tätowieren, und mit Kalbsfleisch glättete sie ihre Gesichtsfalten.

Aber ach! Nach ihrem dreißigsten Geburtstag gab es kein einziges Bild mehr von ihr. Sie fühlte sich alt und hässlich. So schnell kann’s gehen, wenn man jahrelang täglich zwei Stunden in Eselsmilch badet.

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Eine Feministin war sie sicher nicht. Aber natürlich hat die Serien-Sissi ein großes Herz, kann tote Vögelchen zum Leben erwecken und läuft gern barfuß durch den Schlossgarten (Metapher: unbändige Lebensfreude und ehrliche Menschlichkeit).

Auch ihr Kaiser ist ein Gutmensch. Er hat eine unüberwindliche Abneigung gegen Hinrichtungen (was aber nun mal dazugehört im Kaiserreich). Er kann kein Blut sehen und will keinen Krieg führen. Er steht für die junge, moderne Monarchie, die anscheinend wieder cool ist. (Deutschland hat seinen letzten Kronprinzen, Dr. Karl Theodor von und zu Guttenberg, leichtfertig ins Ausland vertrieben, aber zum Glück bekommt er bald als Jauch-Nachfolger einen Thron bei RTL.)

Muss ein Monarch heute noch wie ein Märchenprinz vorgestellt werden? Dass ausgerechnet der letzte Kaiser von Österreich ein liebender Mann, Tierfreund mit den krausen Ideen eines Pubertanten und ganz viel Zärtlichkeit gewesen sein soll … Und an »Liebe auf den ersten Blick« kann bei den Inzuchtstrategien auch keiner glauben – schließlich war Sissi seine Cousine und nur knapp geschlechtsreif.

Natürlich kennen wir die Geschichte von Romy Schneider, der wahren Kaiserin Elisabeth von Österreich, die süße-romantische. Aber was ist neu, warum braucht die Welt noch eine Sissi? Und was hat uns die hohe Dame in den Kämpfen unserer Zeit noch zu sagen?

Na gut, sie ist frech, fast schon dumm-dreist, eine, die sich an der Aldi-Schlange vordrängeln würde. Man wünschte ihr ein besseres Karrieremanagement, etwas mehr Geschmeidigkeit. Eigentlich braucht »diese junge Dame eine harte Hand, dann kann sie funktionieren«.

Ihre ungestüme Art, ihre alberne Ziererei, als sie sich das Jungfernhäutchen auf Vollständigkeit kontrollieren lassen soll, ihre perverse Liebe zu Pferden können junge Frauen natürlich nachvollziehen.

Die Serie dichtet ihr zu viel Tatkraft an. Angeblich soll Sissi Einfluss auf die Entscheidungen des Kaisers gehabt haben. Aber sie war nur das Frauchen, nicht Kanzlerin, Päpstin oder Herrscherin über den Sanitärbereich einer Autobahnraststätte. Und sie war, seitdem sie erkannte, dass sie immer hässlicher wird, verdammt phlegmatisch. Warum half sie nicht in einer Suppenküche, warum salbte sie nicht die Füße der Gehbehinderten, warum klebte sie sich nicht auf einer Autobahnauffahrt an?

Und wie war es mit der angeblichen Liebe? Wie wurde die Fünfzehnjährige auf die arrangierte Ehe mit dem sexuell erfahrenen Kaiser vorbereitet? Hat ihr die Mama nicht wenigstens gesagt: Pass mal auf, Schätzchen, das geht so und so …? War das nicht im Grunde eine Zwangsheirat mit viel Selbstbetrug?

»Die Kaiserin« ist, wie schon alle Sissis vor ihr, der pure Kitsch. Kein Blick ohne Orchesterbegleitung, kein Kuss ohne hingebungsvolles Kichern und Stöhnen. Es schlummert wilde Leidenschaft unter den Reifröcken und Perücken. Männer jagen Frauen nach, Frauen hoffen auf die Ehe, Vöglein singen, Bäche und Bäume rauschen, Glöckchen klingen.

Als Romy Schneider 1955 die Massen zu Tränen rührte, war das noch eine Troststrategie für vollständig, auch juristisch, vom Gatten abhängige Ehefrauen. Da war so eine Sissi-Figur wie eine Rebellin, eine, die ihre Mittel (lange Haare und ungestüme Leidenschaft) nutzte, um sich in einer Männerwelt ein Plätzchen zu ergattern.

Aber das haben wir doch nicht mehr nötig, uns steht ein Platz zu. Darüber müssen doch keine Filme mehr gemacht werden.

Anscheinend doch.

FELICE VON SENKBEIL

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