Immerhin kein Mäkelfritze

Unsere Besten

Zeichnung: Frank Hoppmann

Eigentlich ist Philipp Amthor ein großer kräftiger deutscher Mann. Wenn er mit seinen grundgesetzgroßen Händen auf den Tresen des Rednerpults im Reichstag schlägt, dann wackeln die Scheiben im Takt der Nationalhymne und sogar die Brustwarzen von Frauke Petry erigieren. Die junge Hoffnung der CDU ist ein gestandener Konservativer mit konservativen Meinungen zum Islam, zu Abtreibungen und zum lautstarken Rülpsen studentischer Lieder. Er stemmt ohne Mühe zehn Bierkrüge mit dem linken Zeigefinger, kann drei drallen Blondinen gleichzeitig auf den Hintern hauen und streut sich jeden Morgen einen zerriebenen Kommunisten ins Kraftmüsli. Macht jemand einen guten Herrenwitz, dann dröhnt Amthors tiefe Vollbartlache durch die heiligen Hallen des Männer-WCs bis in den Plenarsaal des Bundestags hinein. Jedenfalls wäre all dies genau so. Denn es gibt ein Problem: Amthor ist transpolitisch veranlagt: Er ist ein konservativer Testosteron-Karrierist gefangen im Körper des Jungen auf der Kinderschokoladenpackung.

Es war in Mecklenburg, in Ueckermünde, ganz weit im Osten, dort, wo sich Hase und Pole gute Nacht sagen. Hier an diesem unwirtlichen Ort, wo die Stürme peitschen und die Wahlplakate der NPD wild durch die Luft baumeln, genau hier wurde sich Philipp Amthor das erste Mal seiner Veranlagung bewusst. Er wollte gerade in der Fußgängerzone ein paar Fidschis wegen illegalen Zigarettenhandels bei der Polizei anschwärzen, als die Beamten ihn am Schlafittchen packten. So einen wie ihn wollten sie hier nicht sehen, drohten sie ihm. Jedenfalls nicht vormittags, wenn Schule ist. Auf seine Entgegnung, dass er mittlerweile schon fast 26 Jahre alt sei und sich seine Hemden schon seit zwei Monaten nicht mehr von seiner Mutter herauslegen lasse, reagierten sie gar nicht.

So tickte der Osten im Jahr 2018. Philipp schloss sich in sein Jugendzimmer ein, hörte Richard Wagner und was gerade sonst so im Ostsee-Radio lief. Mutter akzeptierte ihn, wie er war. Was sollte sie auch anderes tun? Ihn wegen seiner Abnormalität verstoßen? Dafür war sie zu gutmütig. Ihr war egal, was die Nachbarn sagten. Der Junge war nun mal in der CDU. Damit galt es irgendwie zu leben. Eine Konversionstherapie, die aus Philipp einen ganz normalen World-of-Warcraft-Spieler gemacht hätte, konnte sich die Familie auch gar nicht leisten. Frau Amthor beschränkte sich deshalb darauf, Philipp Schnittchen mit abgeschnittener Kruste und die Schriften von Franz-Josef Strauß ins Jugendzimmer zu reichen. Dort saß er dann und las. Er legte jeden einzelnen Zahnstocher mit dem Deutschlandfähnchen achtsam zur Seite und führte sich immer wieder seine Tabakspfeife zum Mund, aus der er winzige Schlückchen Waldmeisterbrause trank.

Seine Jugend, die bis zu seinem Tod anhalten wird, ist für die kleine Familie eine nicht ganz einfache Zeit. Aber trotz all der Schwierigkeiten mit seinem Leben im falschen Körper, weiß Mutter Amthor bis heute die guten Seiten an ihrem Sohn zu schätzen. »Gott sei Dank ist er kein Mäkelfritze«, verriet sie der Ostsee-Zeitung. Das sollte Eltern in ähnlicher Lage Mut zusprechen. Wenn das Kind mit 16 Jahren einen Kurzhaar-Seitenscheitel trägt, 39 Kilogramm wiegt und sich nur für soziale Marktwirtschaft und den Ordner mit Friedrich-Merz-Fotos unter seinem Bett interessiert – all das heißt nicht, dass es nicht die angebrannten Kohlrouladen frisst oder dass man es als »krank«, »gestört« oder »sauerländophil« bezeichnen müsste.

Mäkelig war Amthor auch nicht bei der Wahl seiner Partei. Die CDU, das ist nun mal sein Ding. Komme da, was wolle. Denn die CDU ist konservativ. Und konservativ sein, das ist ein Wert an sich. Das Althergebrachte, das Bewährte, das ist, was Philipp begeistert. Egal, ob es das Grundgesetz oder die ungewaschene Unterhose vom letzten Tag ist. Darum begründete Amthor auch den konservativen Kreis in der CDU mit. Dort hat es Philipp natürlich schwerer als die anderen Mitglieder. Aber Gegenwind ist er gewohnt. Bei den Treffen der Vereinigung wird ihm in manch einem Etablissement der Rum in seinen Mixgetränken verwehrt. Und zuweilen wird er in den Bordellen unwirsch darauf hingewiesen, dass dies hier kein Knabenstrich sei.

Doch unbeirrt setzt Amthor seinen Weg fort. Anfeindungen wie die jüngsten Mitleidssex-Angebote einer Bloggerin prallen an ihm ab wie die Fäuste an einem kleinen Streber auf dem Schulhof. Oft kann ihn die Mutter nun sogar im Fernsehen in den Talkshows bewundern. Dort sieht sie, wie Philipp mit seiner speziellen Veranlagung umzugehen weiß. Nämlich außerordentlich souverän. Amthor scheint es überhaupt nicht zu stören, wenn während seiner Ausführungen zur Dringlichkeit von Abschiebungen nach Afghanistan seine Arme ungelenk schlackern, als wäre er irgend so eine linksgrüne Schwuchtel. Ihm scheint es auch völlig egal zu sein, wenn sich in einem unbedachten Moment seine Mundwinkel unter seiner kleinen Schweinsnase so neckisch hochziehen, als wäre er ein im Grunde nettes Kerlchen und kein widerliches rechtes Arschloch. Mutter Amthor macht das stolz!

Doch aus seinem privaten Umfeld, bestehend aus seiner ehemaligen Deutschlehrerin, hört man, dass Philipp schon daran gedacht habe, seinen Körper seinem Empfinden anzugleichen. Bauchfettimplantate, ein Schmiss auf der Wange und künstliches Doppelkinn – mit plastischer Chirurgie ist heute eine Menge zu machen. Aber das würde seinen Idealen zuwiderlaufen. Denn Philipp weiß, wofür das C in CDU steht. Und würde es Gott gefallen, wenn er den ihm, Philipp, zugewiesenen Körper einfach so ablegte wie ein hornbebrillter Einserschüler sein Abitur? Sicherlich nicht. Philipp Amthor ist zwar nicht getauft, hat keine Sonntagsschule besucht und Bibel-TV nur sehr selten beim Durchzappen geguckt. Aber er weiß, dass der einzige Weg, seinen Körper anzugleichen, darin bestehen würde, dass Gott nach zahlreichen eindringlichen Gebeten seinen berühmten Körperzauber wirken lässt. So schreibt es die Heilige Schrift vor.

Aus diesem Grund belässt Philipp Amthor alles so, wie es ist – ganz konservativ, wie man es von ihm und er es von sich erwartet. Denn auch so wird er eines fernen Tages nach Jens Spahns Tod der letzte CDUler sein, der noch lebt, um Spahn den Parteivorsitz aus seinen kalten, starren Händen reißen zu können.

ANDREAS KORISTKA

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