Leicht salzig
Ikonen Weit, weit weg im fernen Amerika, wo abgesehen von einem Reporter nie ein Mensch hingelangt, ereignen sich viele wundersame Dinge. Dort liegt die Frau, die ihre Brüste vergessen machte.
Ein Tatsachen berührender Report. Von Claas Relotius
Unser neuer Mitarbeiter arbeitete früher beim Satiremagazin Spiegel. Weil dessen neuer Chefredakteur Ulrich Fichtner fürchtete, von ihm übertrumpft zu werden, wurde er jedoch entlassen. Der EULENSPIEGEL veröffentlicht hier seine letzte bislang ungedruckte Reportage, die er ursprünglich für die Hamburger Traumfabrik produzierte.
Eine
kalte Spätherbstnacht in Miami Beach. Die Grillen zirpen. Aus den
Handfeuer – waffen der Straßengangs dröhnt das monotone Sperrfeuer. Der
Ozean – wie in Blei gegossen. Im Dünenwäldchen, schütter bewachsen wie
eine Bäckerglatze mit den für Kalifornien typischen Kiefern, lärmen die
Lemuren. Dahinter blitzen die Bars, Spielhöllen, Puffs ihr vielfarbiges,
verzweifeltes SOS ins All.
Allein, als sei sie ein vom Meer
ausgespuckter Stein, liegt eine kleine, bucklige Person im Sand. »Der
Mond sieht verdammt aus wie ein ausgelutschter Kranich«, denkt sie. Auf
so einen Vergleich muss man erst mal kommen – »Kranich« ist die
bekannteste Kondommarke in Nordamerika.
Die kleine Person kommt
auf solch einen Vergleich; er ist ihr gewissermaßen berufsbegleitend.
Seit Erfindung des Internets bis etwa 2005 wurde ihr Name sekündlich
häufiger aufgerufen als der Name des Erlösers – von Helmut Kohl, den
Amigos oder Josef Stalin ganz zu schweigen. Meist googelte man nach ihr
mit den Attributen »nackt«, »untenrum nackt«, »untenrum nackt und
rasiert« – aber auch mit »Silikon«, »Nippel lecken«, »schwanger«,
»Katzen« und »Weihnachtsplätzchen«. Sie hält den Weltrekord seit zwei
Jahrzehnten: Keine war häufiger auf dem Cover des »Playboy« als sie: Die
kleine Person im Sand unterm Kranich-Licht ist also eine Frau.
Weiter geht es in der EULENSPIEGEL Ausgabe 02/2019 auf Seite 20-23
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