Lebt eigentlich Ai Weiwei noch?
Diese Anfrage erreicht die Redaktion dringlich und täglich.
Die Menschen treibt die Sorge: Noch vor Kurzem war der Meister der aufgehängten Fahrräder und aufgestapelten Hocker, der kunstvoll verfitzten Ohrhörer-Kabel und des mit Minze bepflanzten Hundekots dauernd in den Nachrichten: weil er gerade den chinesischen Kommunismus stürzte, von sieben Uhr dreißig bis neun Uhr in einem Hungerstreik verweilte, der Hinrichtung nur knapp entging, zwischendurch »ein Zeichen setzte«, in dem er an seine Haustür urinierte, weil er in Berlin landete, weil er zum ehrbarsten Ehrenbürger der Hauptstadt aufstieg, weil er eine Professur übernahm, weil er plötzlich Professor war, weil er tatsächlich eine Antrittsvorlesung plante, die er dann doch nicht halten wollte, weil er stattdessen Studenten um sich versammelte und ihnen in hinreißender Diktion »guten Morgen« wünschte, weil er ihnen seinen Theorieansatz in einem einzigen von kunfizianischen Metaphern nur so duftenden Satz vermittelte, der hieß »Hinten kackt die Ente« (den hatte er sich bei XXX angelesen), und weil er dann einfach wieder seiner Obsession nachging, Fahrradteile und Mischbatterien atemberaubend sinnhaltig zu vereinigen – wenn er nicht ab und zu nach Hause flog, in das Land seiner Schergen, und sich von der prächtigen Entfaltung seiner zahlreichen Liegenschaften und dem passablen Gemütszustand seiner Gattin überzeugte.
Unsterblich aber (und damit ist obige Frage für alle Zeiten beantwortet!) wurde er mit einem Foto, das ihn als vom Mittelmeer angespülte winzige, kindliche Flüchtlingsleiche zeigt. Da hätten wir aufwachen müssen: Sind wir nicht lieb genug zu ihm? Sind ihm die Schrippen zu kross, die Frauen zu spröde, ist ihm das Wetter zu schlecht, die Matratze zu hart, das Honorar zu schmal, der Beifall zu lau? Was können wir tun? Möchte er eine Talkshow moderieren, die Frau des Bundespräsidenten nackt in eine Fahrrad-Performance einbauen oder einfach nur bei Prerow an den Strand gespült werden? Wir werden es nicht erfahren.
Nun ist er fort, und in uns ist Leere, endlos tiefe, schwarze Leere.
Mathias Wedel