Viren, die Bakterien fressen

FERNSEHEN

Es ist heiß, sehr heiß in der neuen Welt der »Charité – 4. Staffel«. Im Jahr 2049 leiden die Menschen unter Dürren, Krieg und einer Zweiklassengesellschaft. Also so wie jetzt, nur schlimmer. Statt der Geschichte des Krankenhauses wird nun die kranke Zukunft erzählt.

Eine Frau, hoffentlich eine Ärztin, steht in den ersten Minuten der neuen Staffel vor einem geöffneten Körper und wühlt in den Organen herum. Sie trägt keine Latexhandschuhe und scheint allein zu sein. Dann schnippelt sie an der falschen Stelle und ein Alarm ertönt. Der Patient wäre tot. Er verschwindet jedoch ohne Dankeswort auf mysteriöse Weise, bevor der Reinigungstrupp anrücken müsste. Es war eine Simulation, der Mensch ein Hologramm. Die Ärztin, die Mutter der neuen Chefin, hat nur geübt. Das wird die einzige blutige Szene in dieser Staffel sein. Medizin der Zukunft ist sauber und technologisiert. Roboter übernehmen Blut, Eiter und Scheiße.

Lo Blickensdorf

Die Charité sieht aus wie ein Urlaubsresort. Es gibt tropische Pflanzen und helle, karge Räume. Die Leiterin des Instituts für Mikrobiologie, Maral Safadi (Sesede Terziyan), ist Mitte 40, verheiratet mit einer Frau und hat armenische Wurzeln. Ihre Vorgesetzte ist ebenfalls weiblich. Nur der Minister, ein eitler Gockel mit offenbar asiatischen Wurzeln und einer Vorliebe für Zitate, ist anscheinend ein Mann.

Alle duzen sich, Ehen werden zu dritt geführt, Fische fangen und essen ist streng verboten, statt Kaffee trinkt man Tee. Geraucht wird natürlich überhaupt nicht.

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Bisher war »Charité« eine Art Anthologie-Serie; jede Staffel widmete sich einer vergangenen Epoche: Der Beginn der modernen Medizin Ende des 19. Jahrhunderts in Staffel eins, die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs in Staffel zwei, und die dritte Staffel beginnt im Jahr des Mauerbaus. Historische Persönlichkeiten wurden mit fiktiven Figuren verquickt und die Handlung einigermaßen an den tatsächlichen Begebenheiten entlang erzählt.

Das Schöne daran war, es brachte den Zuschauer in eine überlegene Position. All dieses Elend liegt hinter uns, was haben wir es gut. Keine Pest mehr, kein selbstgemachter Schwangerschaftsabbruch mit dem Kleiderbügel und keine Republikfluchtpläne. Es kann ja nur besser werden.

Leider nicht, wenn man den Utopien der Serienmacher glaubt. Alles wird komplizierter. Zwar kann ein Spenderorgan im 3D-Drucker entstehen, aber man bekommt es nur, wenn man ein braver, gesund lebender oder reicher Mensch ist.

»Wer nicht opfern will, der soll nicht reformieren«, sagt der Minister gleich in den ersten Sendeminuten und verbreitet schlechte Laune. Die Gesundheitsreform ist also bis 2049 ein Thema?

Zum Glück nicht für alle ARD-Zuschauer. Die haben mit der neuen Welt offenbar so ihre Probleme. Die Einschaltquoten der ersten beiden Folgen waren ein Desaster. Vielleicht doch zu viel Dystopie für das Hauptprogramm?

Es gibt nicht viel Freude in dem Krankenhaus der Zukunft, keine netten Lovestorys zwischen Heteros, keine Rivalitäten im Schwesternzimmer, keine dominanten Chefärzte, denen eine Frau Paroli bieten müsste – und absolut kein Humor. Unwillkürlich wünscht man sich »Die jungen Ärzte« vom MDR herbei.

Als dann noch ein unerkanntes Bakterium eine Pandemie auszulösen scheint, ist klar: Ein Tag in der Charité der Zukunft bringt Tod und Verderben.

Dabei könnte eine Krankenhausserie sehr unterhaltsam sein. Die Kombination aus Hoffen und Bangen, Vermuten und Forschen, Erlösung und Dankbarkeit bietet alles für einen gemütlichen TV-Abend.

Selbst für Hypochonder hat Staffel vier nichts zu bieten. Die Krankheiten sind genauso futuristisch wie die Heilungsmethoden. Die persönlichen Geschichten wirken aufgesetzt und realitätsfern. Wenn sich die zwei Mütter, die Mikrobiologin und ihre Gynäkologin, über die Zukunft ihres erwachsenen Sohnes streiten, der gern für sein Land in den Krieg ziehen würde, wünscht man sich, die Chips in ihren Ohren würden ihnen bessere Dialoge einflüstern. Auch dass die anstrengende Oma auf Sozialromantikerin macht, nervt schnell.

Eine tolle Aussicht bietet die Zukunft allerdings doch, niemand hat mehr ein Handy vor der Nase. Mit Chipimplantaten hinterm Ohr und Linsen im Auge hat man endlich wieder die Hände frei für Gartenarbeit.

FELICE VON SENKBEIL

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