Achtsam geht die Welt zugrunde

Wenn der Klassenlehrer eine Mail schreibt, bekomme ich feuchte Finger. Das ist nichts Erotisches, eher ein Zeichen von Panik. Denn Lehrermails sind stets mit Stress verbunden und kommen gleich nach dem Finanzamt und dem Polizeipräsidenten.

Hat mein Sohn wieder den Inklusionsschüler als Behinderten bezeichnet? Oder hat er, nur zum Spaß natürlich, »Heil Hitler« gerufen? Oder wurde in einer Freistunde das Klo mit seiner Kacke tapeziert?

MATTHIAS KIEFEL

Diesmal war es nichts von alldem, vielleicht gehen ihm die Einfälle aus. Der Lehrer bedankte sich in blumigen Worten bei mir für diesen wunderbaren Jungen. Dieser sei »die beglückendste Erfahrung seiner langen Laufbahn«. Mir stiegen kurz die Tränen in die Augen und ich dachte, endlich sieht jemand außer mir das schöne Wesen, das in seinem langen Körper wohnt. Mein Sohn sei einer von zweien gewesen, die sich freiwillig für den Projekttag zum Klimaschutz angemeldet haben, berichtete der Pädagoge, noch immer gerührt. Gut, das ist auch ein Grund stolz zu sein. Schließlich ist der Junge ein fanatischer Motorsport-Fan, träumt von einem Leben als Luxus-Influencer in einer Hotelanlage in Dubai und isst eigentlich ausschließlich Fleisch.

Aber er befindet sich in der Pubertät und da sind jähe Wendungen nie auszuschließen.

Der Lehrer war voller Vorfreude auf das Teamevent, den »Young Climathons von der europäischen Institution Climate-Kic«.

Das klang sehr vielversprechend, fand ich. Vielleicht öffnet so eine Veranstaltung den jungen Menschen die Augen und sie retten die Welt oder finden einen Geschlechtspartner. Beides hielt mein Sohn für unrealistisch.

Ich gratulierte dem Teenager trotzdem zu seinem Bekenntnis für den Klimaschutz. Er schaute mich wie eine Verwirrte an und sagte dann, »Eh? Ich hasse das Klima!« und schlug die Tür zu.

Zur Essenszeit erschien er wieder und klärte mich auf. Der alte Sack habe ihn reingelegt. Er dachte, er muss dahin, um nicht zum Vorlesetag in den Kindergarten zu müssen. Aber der ist eine Woche später. Jetzt sollte ich ihn krank melden. Einen ganzen Tag mit solchen Ökos rumzuhängen, das wäre zu viel für ihn. Außerdem hatte er sich schon in seiner Muckibude zum Gewichtestemmen verabredet. Ich solle einfach eine Mail an den Sack zurückschreiben, Corona oder Magen-Darm gehe eigentlich immer durch.

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Normalerweise mache ich das immer anstandslos. Aber in diesem Fall fand ich, er sollte sich der Sache stellen. Es ging schließlich um was.

Auf der Internetseite stand, es werde das »komplexe System aus Verursachern, Kontext und Auswirkungen in eine Schatzkarte übertragen und eine Schifffahrt gegen rettende Lösungsinsel stattfinden … . »Abschließend sollten noch die Segel in den Trendwind gesetzt und die Anker gelöst werden.

Mit der Seefahrt-Metapher wollte man also Siebzehnjährige auf geniale Ideen zur Klimarettung bringen. Ich fand das doof, aber rührend, und verweigerte ihm das Corona-Attest. Dann ging er hin.

Voller Neugier wartete ich auf einem Hocker im Flur auf seine Rückkehr. Was würden diese jungen Hirne ersinnen? Ist dies die Geburtsstunde einer neuen Technologie, eines genialen Gedankens, einer neuen Zeitrechnung? Am frühen Nachmittag kam der Teenager zurück. Er raste in die Wohnung, direkt aufs Klo. Und?, fragte ich durch die Tür, wie geht’s weiter? Sollen wir mit Salz heizen? Das Wasser aus unserem Urin filtern? Unsere Kartoffeln in der Badewanne anbauen?

Der Sohn kam erleichtert vom Klo zurück. Er erzählte, dass ihn nette alte Frauen, also so mein Alter, mit schiefen Zähnen und kleinen Brillen erklärt haben, dass er sich beim Schulessen nicht so vollstopfen soll. Denn wegen hungriger Teenager wie ihm, wird das Klima belastet. Jedes Schwein, das er isst, hat seine Spuren auf dem Planeten hinterlassen. Darum gab es natürlich kein Fleisch zum Mittag und einen Kurs im »Mülltonnentauchen« vulgo Containern. Also Weggeworfenes noch mal essen. Dafür war ein Freund der kleinen Ökofrauen aus dem tibetanischen Hochland eingeladen worden. Der zeigte dann, wie er aus verdorbenen Resten ein traditionelles Gericht zaubert.

Wie es schmeckte und ob der Climathon meinen Sohn zu einem achtsamen und nachhaltigen Menschen gemacht hat, konnte ich ihn nicht mehr fragen. Er war schon wieder auf der Toilette verschwunden.

FELICE VON SENKBEIL

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