Alles neu am Lerchenberg

FERNSEHEN

Die Welt ist aus den Fugen! Sagt bekanntlich Hamlet. Und findet auch die Fliesenlegerbranche. Und beide haben recht. Heutzutage muss man sich an so viele Veränderungen gewöhnen: Die Äpfel sind gar nicht mehr sauer, auf den Autobahnen kleben Menschen, Kinder dürfen ihre Lehrer duzen, Furzen in Parkanlagen wird erlaubt, es gilt: Frieden schaffen mit noch mehr Waffen, Frauenfußball wird im Fernsehen übertragen und es gibt kaum noch Sexkinos.

Das alles ist doch schon schlimm genug. Jetzt muss auch noch das ZDF mit der Zeit gehen? Aber dafür ist es doch gar nicht geschaffen. Eine Sackkarre kann nicht fliegen. Eigentlich ist der Sender bekannt für Beständigkeit und Zuschauerbindung über Generationen hinweg. Formate, die zur Tagesroutine der Menschen gehören wie Blutdruckmessen und Hackepeterbrötchen zum Frühstück, sollen nun einfach verschwinden wie die Telefonzelle, der Ottokatalog, die DDR – einfach weg.

BURKHARD FRITSCHE

Hat man in dem Sender denn gar nichts gelernt? Die Wunde, die die Verbannung von »Wetten, dass..?« hinterlassen hat, eitert noch immer. Wenn Thomas Gottschalk sich nun manchmal aufs Showsofa setzt, kostet das so viel wie … ach, wollen wir gar nicht wissen. Hauptsache, die Stimmung ist mega und die Einschaltquoten sind top. Noch in der übernächsten Generation, wenn gar niemand mehr weiß, wer oder was ein Gottschalk war (Ein Getränk? Eine Währung?), wird der Phantomschmerz schmerzen.

Seit 26 Jahren, fünf Tage in der Woche, bringt »Leute heute« mit Karen Webb Promiklatsch und etwas Glamour in die Wohnzimmer der Nation. Was gesendet wird, ist egal – das Format soll lediglich die qualvolle Stille überbrücken, die zwischen gereiften Ehepaaren am späten Nachmittag herrscht (»Wie war dein Tag?« »Ach, frag nicht!«). Die Quoten nennt man intern »einen Traum«, aber in der Medienwelt da draußen zählt das nicht mehr. Irgendwer hat festgestellt, dass eingefleischte »Leute heute«-Gucker an Toilettenpapier knausern und Rotwein, wenn überhaupt, nur trinken, wenn er unter drei Euro kostet. Sie kaufen bei Kik und machen Apfelmus ein. Die Fernsehstrategen nennen diese Mediennutzer »die Preisbewussten«, die gedruckte Wurfsendungen der Discounter nebeneinander legen. Kaufkraft ist nicht ihre Stärke. Und »Leute heute« ist von gestern.

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So ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender hat es aber auch nicht leicht: Der Rundfunkbeitrags-Zahler sollte nicht provoziert und niemals gekränkt werden. Habeck zu oft im Fernsehen? Das kann schon zu Massenkränkungen führen. Wenn im Sommer die Fenster offen stehen, hört man die Schreie der Verzweifelten: »Habeck, das Schwein, und alles von unseren Zwangsgebühren!«

Habecks Einschaltquoten sind noch schlechter als die von Selenskyj. Selenskyj kann man auch nicht mehr offen zeigen, sondern nur noch als heimliches Product-Placement.

Das Handy sagt das Wetter an, die Uhrzeit auch, es kann sogar Schritte zählen, man kann beliebig Pornos oder die Fußballergebnisse abrufen. Das Institut auf dem Mainzer Lerchenberg mit seiner Intendanten- und Abteilungsleiterkultur ist für Menschen unter 50 überflüssig geworden – man sollte es Flüchtlingen zur Verfügung stellen. Der Intendant kann dann Glühlampen wechseln und verstopfte Toiletten mobilisieren.

Doch trotz alledem: Ohne Verlässliches will der Mensch nicht sein, denn er ist kein Blatt im Wind. »Leute heute« – das ist wie die Kirchturmuhr, der morgendliche Stuhlgang, das Grablicht auf dem Elterngrab und »Ihr Kinderlein kommet«, wenn Bescherung ist. »Leute heute« hält ganze Altenheime am Leben: »Prinz Harry, dieser Querulant, hat bei der Krönungszeremonie gepopelt?« Ohne »Leute heute« würde dieser Fakt nie zum Ereignis.

Und »Leute heute« setzt Trends: Uschi Glas (ein Vorbild für straffes Altern) trägt keine Schlüpfer? – »Dann machen wir das nun auch so.«

Auch der Sonntagabend im ZDF ist in Gefahr: »Herzkino« wird quasi abgeschafft. »Herzkino« – ist eigentlich der Mensch, dessen Idee diese Wortkreation war, jemals mit dem Bundesverdienstkreuz beworfen worden? Wolf Biermann hat eins – aber diese/r anonym gebliebene geniale Mitarbeiter/in nicht!?

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Mit der Eindampfung von »Herzkino« verliert der Sender sein Profil. Frauenschicksale mit Happy End und leichtem Humor in idyllischen Landschaften sind das, was das ZDF bei Menschen, deren einziges technisches Gerät, das sie bedienen können, die TV-Fernbedienung ist, zum Lebensmittelpunkt gemacht hat.

Und wo, wenn nicht im »Herzkino« sind reife bis überreife weiße, heterosexuelle Hausfrauen repräsentiert? Was können Jutta Speidel und Simone Thomalla jetzt noch spielen? Transsexuelle Asylsuchende gibt es im Fernsehen zu Hauf, aber weiße Hausfrauen, die den Alltag in Miele-Küchen bewältigen?

Der Sonntagabend, die besinnliche Stunde, bevor es zum wöchentlichen oder vierzehntägigen Beischlaf kommt, wird bisher vom Krimi im Ersten und dem Frauenfilm im Zweiten getragen. Wenn der Frauenfilm nun gecancelt wird – welche Auswirkungen hat das für das Sexualverhalten, die Altersstruktur, die Daseinszufriedenheit, die Wehrbereitschaft und die Bindung an politische Parteien? Wo sind die Experten der Sozialforschung, wenn man sie mal braucht?

Stattdessen hat sich das ZDF fürs Krankenhaus entschieden.

Krank wird jeder mal, Angst hat jeder und gestorben wird immer. Das Krankenhaus als Abbild unserer Urängste und einer arbeitsteilig herumwuselnden Gesellschaft. Und man lernt immer ein bisschen dazu. Wussten Sie, dass ein Hirntumor dauergeil machen kann? Nein? Dann haben Sie auch keinen.

Aus der Sachsenklinik (»In aller Freundschaft«) kommt man vielleicht nicht lebend, vielleicht einmal gesünder, aber auf jeden Fall klüger heraus, als man hineingegangen ist.

FELICE VON SENKBEIL

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