Vorbeugen – besser als heulen
Von MATHIAS WEDEL
Haft auf Grund eines hilfreichen Hinweises aus der Bevölkerung, Haft, weil »hier was nicht ganz sauber ist«, Haft, weil »es schließlich jemand gewesen sein muss«, Haft, weil »der Typ nicht koscher ist« – z.B. eine Nagelfeile in der Brusttasche hat oder mit einem polizeibekannten Dealer gesehen wurde oder schon zum zweiten Mal scheinbar ziellos die Straße rauf und runter gegangen ist oder die Zulassung für sein Auto »vergessen« hat oder ihm das Koks aus allen Löchern guckt, außerdem ist er Syrer, oder weil dieses Viertel hier ein »Kriminalitätsschwerpunkt« ist, ein »Kontrollbereich« – wer hier bei der »Mitführung eines Buttermessers mit buttermesseruntypischer Schärfung« angetroffen wird, ist verloren. Haft, weil man jemanden »fast hundertprozentig« ähnlich sieht, Haft weil »heute was in der Luft liegt« (großes Fußballereignis, Silvester, Ankunft eines Königs, Helmut Kohl in Halle), Haft, weil der Hund oder das Kind an seiner Hand gar nicht sein Kind sein kann und er keinen Halternachweis vorweisen kann, Haft, weil im Park jemand geschrien hat »Der isses!«, und schließlich Haft, weil die schwere Arbeit von Polizisten auch einmal von Erfolg gekrönt sein muss.
Das heilige Rechtsmittel der Präventivhaft ist eine der edelsten Einrichtungen der Justiz und des Strafvollzugs. Es erscheint in unsrer bildreichen Sprache in mannigfacher Gestalt – als Schutzhaft (Rechtsmittel sind ausgeschlossen), als Vorbeugehaft, als Erzwingungs- oder Beugehaft (»Der sitzt, bis er redet. Oder stirbt.«) und als Unterbindungsgewahrsam. »Gewahrsam« – was für eine anheimelnde phonetische Köstlichkeit, die längst als schönstes Wort des Jahres hätte gekürt sein müssen, übertroffen nur vom schmeichelnden Liebreiz der »Inobhutnahme«.
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