Kommissar LEX

In mindestens dreißig westlichen Ländern betreibt China neuerdings eigene Polizeistationen. Auch in Deutschland. Nach dem Hamburger Hafen, der einheimischen Solarbranche und der guten alten schwäbischen Glückskeksindustrie steigt das Riesenreich damit in das Geschäftsfeld der inneren Sicherheit ein. Die Vereinigten Staaten schlagen Alarm, sie sehen in den China-Cops eine Gefahr für die nationale Souveränität und in anderen Ländern eine überflüssige Konkurrenz zu den Tausenden von Auslandsfilialisten der NSA und CIA. Die Kritik an diesen wie chinesische Morcheln aus dem Boden schießenden Polizeibüros wächst auch in Deutschland. Und schon wieder ist es höchste Zeit für ein Machtwort des Kanzlers.

Ari Plikat

In einer unverdächtigen Seitengasse in Frankfurt am Main bringt sich Olaf Scholz hinter einem verdächtig gelben Rednerpult in Position. Obwohl die Bankentürme ihre langen Schatten werfen, blinzelt der Kanzler. Vor ihm richten ein paar Handvoll chinesischer Dissidenten und einheimischer Sorgenträger ihre erwartungsvollen Blicke auf ihn. Scholz ist gekommen, um klare Kante zu zeigen. Sein Pult steht direkt vor dem Eingang eines ehemaligen Waschsalons, der zu Deutschlands erster chinesischer Polizeistation umgerüstet wurde. »Ich musste aus der Zeitung davon erfahren«, ärgert sich Scholz, »aber mit der Geheimniskrämerei ist es jetzt vorbei.« Er fordert die dubiosen Insassen hinter ihrem schwarz abgeklebten Schaufenster auf, sich der Öffentlichkeit zu zeigen. »Wir warten auf Sie«, sagt Scholz und stimmt gemeinsam mit den Demonstranten einen Countdown an. Bei »drei« tritt ein Mann aus dem Gebäude, der verdächtig asiatisch aussieht, am Ende seiner Hundeleine hechelt ein Polizei-Pekinese.

Der Kanzler hebt seine rechte Hand. Im selben Moment ertönt ein Knall, von oben regnet es gelbes Konfetti auf den Hund und sein Herrchen, um die Ecke biegt ein hessisches Polizeiorchester und intoniert »Drei Chinesen mit dem Kontrabass«. Scholz schleudert eine volle Sektflasche gegen das Gebäude. »Auf diese Weise pflegen wir im Westen Schiffe zu taufen«, erklärt er, »und qua Richtlinienkompetenz habe ich entschieden, dass wir so auch mit chinesischen Polizeistationen verfahren.«

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Der hohe Besuch und die unangekündigte Einweihungsparty haben Jackie Kahn (Name von der Zensur geändert) sichtlich überrascht. Der Polizeihund, der auf den Namen Lex hört, bedankt sich mit einer tiefen Verbeugung. Dann lauschen er und sein Herrchen der Festrede des Kanzlers. »Wo früher Waschmaschinen rotierten, werden heute Daumenschrauben angelegt«, erklärt Scholz feierlich und verengt dabei, wie er es auffallend oft tut, seine Augen zu kleinen Schlitzen. Unter den Demonstranten ist ein zaghaftes Grummeln zu vernehmen, offensichtlich hatten sich viele Dissidenten eine andere Art Machtwort erhofft. Doch ehe sich der Unmut zu einem Massenaufstand auswächst, ist auch schon ein behelmtes Spezialkommando zur Stelle und befriedet die Lage auf Pekinger Art. Der Kanzler, der ebenfalls eine Ladung Pfefferspray abbekommt und nun noch mehr blinzelt als eh schon, ist schwer beeindruckt. Auf so eziente Einsatzkräfte hätte er als Hamburger Bürgermeister beim G20-Gipfel einst auch gerne zurückgegriffen.

Während der anschließenden Aufräumarbeiten entschuldigt sich Scholz für das schlechte Benehmen seiner Landsleute. »Aber es sind auch Chinesen unter den Deutschen«, gibt er zu bedenken. »Stimmt«, sagt Kahn, »aber nicht mehr lange.« Scholz versteht zwar nicht, was gemeint ist, findet es aber lustig. Als er hinunter zu Lex schaut, blinzelt dieser zurück. »Niedlich, ihr kleiner Pinscher«, gluckst Scholz. »Unterschätzen Sie ihn nicht«, sagt Kahn, »er kann mit einem Biss einem Taschendieb den Oberarm abtrennen.«


Aus Dankbarkeit für den freundlichen Empfang lädt Jackie Kahn den Kanzler zu einem Rundgang ein. »Mehr Transparenz geht nicht«, lobt Scholz, der sich im Vorfeld ohnehin schon in unabhängigen Pekinger Medien ein eigenes Urteil gebildet hat über diese Einrichtungen, bei denen es sich ja um gar keine echten Polizeistationen handelt, sondern um völlig unbedenkliche Servicebüros – eine Art China-Restaurant ohne Speisen oder Thai-Massage-Salon ohne Massage. Man geht rein, holt sich was oder wird bedient und geht wieder raus.

Unerwartet läuft Scholz ein alter Bekannter über den Weg. »Ich war zufällig in der Gegend und dachte, ich schau mal rein«, stammelt Karl Lauterbach. Unter seinem Arm versucht der Bundesgesundheitsminister linkisch, Informationsmaterial über wirksame Polizeimethoden zur Durchsetzung der Null-Covid-Strategie zu verbergen. Dann huscht er davon.

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Kahn führt den Kanzler weiter durch die Räumlichkeiten. Doch bei aller Höflichkeit wagt er auch Kritik bezüglich der verbreiteten antichinesischen Vorbehalte: »Siebzig Prozent Ihrer Landsleute lehnen es ab, dass China in deutsche Unternehmen einsteigt.« Scholz stöhnt: »Ach, lassen Sie uns nicht über Umfragen reden, die stoßen mir nur süßsauer auf. Sprechen wir lieber über deutsch-chinesische Gemeinsamkeiten. Sie kommen aus dem Reich der Mitte und ich bin der Kanzler der Mitte. Darauf lässt sich doch aufbauen.« Als er in einer Ecke eine alte Waschmaschine entdeckt, geht Scholz darauf zu. »Die hat wohl die Umzugsfirma vergessen«, mutmaßt er. »Nein«, antwortet Kahn, »die benötigen wir für die Gehirnwäschen.« Nach einem kurzen Schweigemoment brechen beide in Gelächter aus und Scholz sagt: »Mir hat sowieso noch nie jemand den Unterschied erklären können zwischen Umerziehung und Resozialisierung.« Dann zeigt er auf Fußketten, die in verschiedenen Größen von der Wand hängen, und fährt fort: »Apropos Kalauer – mir ist wichtig, dass unsere Lieferketten nicht abreißen.« Wieder müssen beide herzlich lachen.

Schließlich nutzt Scholz das Ende des Rundgangs, um in der deutsch-chinesischen Sicherheitspartnerschaft ein neues Kapitel aufzuschlagen: »Über kurz oder Lang Lang geht kein Weg vorbei an einem Einstieg Chinas ins deutsche Polizeiwesen.« Als Kahn etwas überrascht wirkt, führt Scholz weiter aus: »Wissen Sie eigentlich, wie kostspielig der Unterhalt eines kompletten Sicherheitsapparates ist? Wenn jedes Kuhkaff für sich einen Polizeiposten beansprucht, müssen wir outsourcen.« Scholz, der letzte politisch überlebende Agenda-Sozialdemokrat, kommt jetzt richtig in Fahrt: »Monopole schaden der freien Wirtschaft. Wieso sollte dies bei Gewaltmonopolen anders sein? Wo ist der Unterschied, ob ein Mädchen in Guangdong ein HSV-Trikot zusammennäht oder ein junger Bursche aus Yunnan in Blankenese Knöllchen verteilt?«

Dann wird der Kanzler grundsätzlich: »Mir ist es lieber, Deutschlands Sicherheit wird von den Chinesen verteidigt als vom Bundesverfassungsschutz.« Kahn nickt zustimmend, während Scholz tief Luft holt für ein Aber: »Ein Versprechen müssen Sie mir aber geben: Kein Vollzug der Todesstrafe auf deutschem Boden! Kein Wandel durch An-die-Wandl! Das sind unsere europäischen Werte, und die haben Sie zu respektieren!«, verlangt Scholz. »Und wenn wir schon dabei sind: Keine Cum-ex-Ermittlungen! Konzentrieren Sie sich auf die richtigen Verbrecher!«

Als man die Polizeistation verlässt, bellt Kommissar Lex begeistert. »Ich glaube, er mag Sie«, sagt Kahn und besteht darauf, dass Scholz den Polizeihund als Gastgeschenk annimmt. »Am besten schmeckt er mit Sternanis und Sojasoße.« Scholz ist sich zwar nicht ganz sicher, was er meint, findet es aber lecker und blinzelt.

FLORIAN KECH

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