Schneewittchen schmeißt die Zwerge raus

Wir haben so viel getan, um unsere Kinder zu schützen! Sie in Biobaumwolle gewickelt, ihnen die Haare mit Muttermilch gewaschen, den Fernseher abgeschafft und weißes Mehl zum Feind erklärt. Die Kinderzimmer sind mit Kalkfarben, Bienenwachs und Blütenstaub bemalt und die Spielzeuge, wenn es unbedingt Plastik sein muss, TÜV-geprüft und monatelang im Keller ausgedünstet. Alle Gefahren, vor allem die toxischen, haben wir mehr oder weniger im Griff, nur eine ist uns entgangen: die Diskriminierung, also Ausgrenzung, Sexismus, Rassismus und so weiter.

Es beginnt schon beim Teddy, der ist oft noch braun, nie rot oder grün. Dann die Püppchen, sie sind meist weiblich und heißen Cindy. Die Puppenstube ist selten rollstuhlgerecht, der Sandmann ist … ein Mann und Herr Fuchs und Frau Elster müssten eigentlich verboten werden. Bob der Baumeister, Lilly Fee und der kleine Maulwurf sind überhaupt nicht mit der Zeit gegangen. Sie sind weder bi noch trans oder wenigstens schwul. Obwohl, was der Maulwurf so in seinem Bau treibt, weiß keiner genau. Auf jeden Fall wird heute mehr erwartet, als überholte Rollenbilder zu bedienen.

Cartoon: MARIO LARS

Die Süßigkeitenindustrie hat das erkannt und endlich was getan. M&Ms, diese knackigen Schokolinsen, werden divers. Fast in allen Farben gibt es sie ja schon, aber das reicht nicht. Das M&M-Weibchen trägt jetzt Sneakers statt High-Heels und auch sonst sollen die M&M-Figuren »nuanciertere Persönlichkeiten« bekommen. So vielfältig wie unsere Gesellschaft sollen sie sein. Man wolle eine Welt schaffen, in der sich jeder zugehörig fühlt, heißt es seitens des Mutterkonzerns Mars. Das klingt doch gut. Nun können auch behinderte und gemischt-farbige Schokolinsen ohne Bedenken zum Kindergeburtstag verteilt werden.

Auch an die Barbie-Puppe können wir die Kleinen ranlassen. Diese super-sexy Plastikdinger waren früher Pornostars im Kinderzimmer. Barbie und Ken trieben es in allen Varianten. Jahrzehntelang glaubten kleine Mädchen, große Brüste und blonde Mähne gehörten zu einem erfolgreichen Leben. (Und natürlich ein Mann wie Ken.) Das stimmt natürlich nicht, aber Kinder sind ja dumm. Große Brüste reichen völlig.

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Damit ist Schluss. Statt erste erotische Träume präsentieren die Puppen heute die knallharte Wirklichkeit. Die Barbie-Fashionistas-Linie bringt sie mit kleinen Brüsten, mit Vitiligo (einer Hautkrankheit) oder mit einer (immerhin) goldenen Prothese raus. Und Ken ist homo und badet mit einem Rothaarigen oder einem Glatzköpfigen. Sogar ein bisschen mollig darf die Plastikpuppe plötzlich sein.

Das tut so gut. Unsere Kinder können so ganz spielerisch zu toleranteren, glücklicheren Menschen werden als wir. Sie wünschen sich keine langen, blonden Haare mehr, sondern goldene Prothesen.

Bald wird es sogar wieder möglich sein, die Kinder vor den Fernseher zu setzen. Disney gibt alles, um Prinzessinnen, Ritter, Drachen, Meerjungfrauen und Flaschengeister LGBT-tauglich zu trimmen. Dornröschen ist lesbisch, Ariele farbig, der Flaschengeist eine Frau oder was dazwischen. Alles ist möglich, es sind ja Märchen. Die alten Schinken, die immer noch laufen dürfen, warnen wenigstens vor nachhaltiger Verstörung:

»Dieses Programm enthält negative Darstellungen und/oder eine nicht korrekte Behandlung von Menschen oder Kulturen. Diese Stereotype waren damals falsch und sind es heute noch. Anstatt diese Inhalte zu entfernen, ist es uns wichtig, ihre schädlichen Auswirkungen aufzuzeigen, aus ihnen zu lernen und Unterhaltungen anzuregen, die es ermöglichen, eine integrativere gemeinsame Zukunft ohne Diskriminierung zu schaffen. Disney hat es sich zum Ziel gesetzt, Geschichten mit inspirierenden und zukunftsweisenden Botschaften zu erzählen, in denen die große Vielfalt der Menschen rund um den Globus berücksichtigt und niemand diskriminiert wird.«

Zum Glück! In »Peter Pan« (1953) zum Bespiel werden amerikanische Ureinwohner als »Rothäute« bezeichnet. »Dumbo« (1941), der kleine Elefant mit den großen Ohren, ist ein klarer Fall von Mobbing gegen »Andersartigkeit«. Die Krähen sprechen einen afroamerikanischen Slang und verkörpern Stereotype. Im »Dschungelbuch« (1967) ist es der Affe. Er singt Jazz, eine beleidigende Karikatur von Afroamerikanern.

Nun wissen die Kinder wenigstens Bescheid und können sich von all dem distanzieren. Auch von Schneewittchen. Die Zwerge gehen gar nicht mehr. Die junge Frau sollte lieber allein ihren Weg gehen, vielleicht in einer Großstadt als Bloggerin statt sich von kleinen Männern ausbeuten zu lassen.

Neue Zeiten sind angebrochen. Voller Achtsamkeit und Toleranz werden unsere Kinder in einer menschenfreundlicheren Welt aufwachsen. Sie müssen noch nicht wissen, dass der Kakao für ihre diversen Schokolinsen von anderen Kindern für einen Hungerlohn gepflückt wird, dass das Plastik für ihre Rollstuhl-Barbie eine Million Jahre braucht, um im Ozean zu verrotten – solange sie nur lieb zueinander sind, kaufen wir ihnen alles.

FELICE VON SENKBEIL

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