Die engsten Gürtel aller Zeiten
Klar ist: Wir müssen in den nächsten Jahren Einschränkungen hinnehmen. Das befahl Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner bisher wichtigsten Grundsatzrede. Doch hilft diese protestantische Verzichtsethik wirklich dabei, die anstehenden Krisen zu bewältigen? Müssen nun alle den Gürtel enger schnallen?
Verzicht ist nicht gleich Verzicht
EIN Pro VON GREGOR FÜLLER
Wenn die Menschen von Verzicht lesen, denken sie immer gleich an Extreme. Sie stellen sich Diogenes in seiner Tonne vor oder einen verhärmten Mönch, der, seinen ausgezehrten Leib in ein kratziges Büßergewand gehüllt, mit der Bahn in den Nordsee-Urlaub fährt statt drei Mal im Jahr für Instagram-Fotos um die halbe Welt zu jetten. Doch so weit muss der Verzicht gar nicht gehen, um den Planeten zu retten. Oft genügen schon kleine Verhaltensänderungen: Steckerleisten konsequent ausschalten, intelligente Stromzähler einbauen, zwei Kinder weniger zeugen – all das kann schon die Rettung der Menschheit und des Klimas bedeuten.
Die Natur weist den Weg
EIN Contra VON ROGER G. RELLÜF
Als ich vor kurzem durch Berlin-Neukölln schlenderte und sah, wie auf dem üppigen Grünstreifen neben der Autobahnausfahrt drei Zelte standen, musste ich an die Worte des Bundespräsidenten denken: »Meine Damen und Herren, wir schränken uns ein, um durch die Krise zu kommen.« Doch was nützt die fromme Ansprache, wenn sich am Ende der Egoismus des Einzelnen durchsetzt?! Denn dort, wo die drei Zelte standen, hätten locker sechs oder sieben Platz gefunden. Es ist also kein Wunder, dass der sogenannte Erdüberlastungstag jedes Jahr früher eintritt, solange nicht jeder mitmacht.
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