Der Prechtsruck
Deutschlands wichtigstem und bestfrisiertem Philosophen ist ein Schlag gegen die Mainstreammedien gelungen. Der Frontbericht »Die Vierte Gewalt: Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist, und wenn ja, wie viele«, den Richard David Precht gemeinsam mit dem Starsoziologen und kongenialen Ukraine-Kenner Harald Welzer verfasst hat, schoss direkt an die Speerspitze der Bestsellerliste. Die wüsten und teilweise völkerrechtswidrigen Rezensionen zeigen bloß, wie empfindlich die Presse getroffen wurde. Ein weiterer Beleg für den Wirkungstreffer ist das folgende Interview.
Herr Precht, Sie sind ja als Tausendsassa bekannt. Was sind Sie momentan? Und vor allem, wie viele?
Ich definiere mich als bildungspolitisch versierter Geschichtsphilosoph mit einer besonderen Expertise in Außenpolitik, Grundeinkommen, Tierrechten, Innenpolitik, Makroökonomie, Achselhygiene, Medizin, Sport, Haarconditioner und Liebesbeziehungen.
Neuerdings treten Sie als Medienkritiker auf.
Richtig, ich vergaß.
Sie stimmen mir also zu?
So weit, einem Presseheini zuzustimmen, würde ich nicht gehen. Denn indem Sie in Ihrer Frage den »Kritiker« betonen, versuchen Sie, was total bezeichnend ist für den klickfixierten Raubtierjournalismus im Zeitalter des manichäistischen Hyperkapitalismus, einen künstlichen Gegensatz zu konstruieren, obwohl Sie, wenn Sie mein Buch gelesen hätten, wissen müssten, dass es mir eben gerade nicht um eine Kampfschrift geht, sondern um eine Einladung zur Selbstreflexion.
Was Sie nicht sagen. Dafür teilen Sie aber ganz schön aus.
Können wir uns für den weiteren Gesprächsverlauf darauf einigen, auf martialische Begriffe wie »austeilen« zu verzichten? Solche Gewalttermini stammen aus der wilhelminischen Mottenkiste und dienen lediglich der Kriegsverherrlichung.
AnzeigeSie haben doch den Schuss nicht gehört.
Darauf lege ich auch keinen Wert im Unterschied zu den kriegslüsternen Leitartiklern.
In Ihrem aktuellen Buch, das Sie zusammen mit dem Soziologen Martin Walser geschrieben haben, schreiben Sie …
Sehen Sie, das ist auch so eine Misere des zeitgenössischen Hyperschalljournalismus. Vor lauter Tempowahn wird nicht mehr gründlich recherchiert. Mein Co-Autor heißt nicht Walser, sondern Schmelzer.
Wir dachten, Welzer.
Sagte ich doch.
Mit Verlaub, aber Sie sagten Schmelzer.
Sie lügen ja noch schlimmer als Melanie Amann vom Spiegel.
Wenn ich Sie missverstanden habe, tut es mir leid.
Versuchen Sie mit Ihrer Entschuldigung jetzt bloß nicht, sich moralisch über mich zu stellen. Dieser ganze Moralismus, der aus jeder Journalistenpore trieft, gehört zu den schlimmsten Auswüchsen zeitungsverlegerischer Gesinnungsprosa. Das ist ja auch der Grund, warum Sie niemand mehr liest.
Lesen Sie eigentlich noch Zeitung? Und wenn ja, wie viele?
Ich lese nur Qualitätsbeiträge, die ich selbst geschrieben habe. Aber diese dafür mehrmals hintereinander.
In Ihrem Buch, das Sie gemeinsam mit Erwin Pelzig geschrieben haben, unterstellen Sie den Leitmedien, abweichenden Meinungen keinen Raum zu bieten. Steht dieser Vorwurf nicht in Widerspruch zu Ihrer medialen Omnipräsenz?
Es geht doch nicht darum, wie oft ich in eine Talkshow eingeladen werde, sondern wer in der Runde alles gegen mich ist, und wenn ja, wie viele. Die folgende Frage stellte ich bereits Ihren Kollegen von der Zeit: Wissen Sie, wie hart es ist, gegen diese Wand anzureden? Es fühlt sich an, als würde man nackt mit einem Karabiner auf einen Schützenpanzer schießen. Diese Erfahrung wünsche ich nicht einmal einem ukrainischen Soldaten.
Wir dachten, Sie seien Pazifist.
Haben Sie diesen Quatsch aus der Bunten? Nur weil ich mich neulich bei Lanz eine Stunde lang von Melanie Amann bloßstellen und demütigen ließ, ohne draufzuhauen, heißt das noch lange nicht, dass ich keine Gewaltphantasien hätte.
AnzeigeDafür haben Sie Frau Amann sinngemäß vorgehalten, sie sei zu dumm, um Ihr Buch zu verstehen. Jens Jessen schrieb dazu in der Zeit, bei dem emotionalen Ausbruch habe Ihre Lippe gebebt, als würden Sie gleich losheulen.
(Mit bebender Lippe) Warum sachlich, wenn es auch persönlich geht. So funktioniert Journalismus heutzutage und an dieser Diskussionsunkultur werde ich mich gewiss nicht beteiligen, zumal auf der Hand liegt, dass Jessen, diese impotente Kackbratze, nur neidisch ist auf meinen Fame und meinen Sexappeal.
In der Verlagsankündigung zu Ihrem Buch tauchte der Begriff »Selbstgleichschaltung« der Medien auf, was sehr nach Nazi-Jargon klingt.
Wir haben den Begriff ersetzt und damit Kritikfähigkeit bewiesen, wie mein Co-Autor Herbert Walzer richtig feststellte. Im Buch schreiben wir von »Selbstangleichung«, die dafür verantwortlich ist, dass wir sowohl in der Pandemie als auch im Ukraine-Krieg von den Mainstreammedien immer nur die eine Meinung aufgetischt bekommen, die rein zufällig mit dem Regierungskurs übereinstimmt.
Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Nach gründlicher Recherche, was in meinem Fall totale Kontemplation bedeutet, kam ich zu dem Ergebnis, dass hinter der Selbstangleichung bei den Themen Corona und Ukraine der übermächtige Coraine-Komplex steckt.
Klingt arg nach Verschwörungstheorie.
War ja klar, dass Sie mit dieser billigen Keule ankommen müssen. Dabei behaupte ich an keiner Stelle, dass der Coraine-Komplex aus irgendwelchen Machtzirkeln besteht. Die Rede ist von subtilen Mechanismen. Aber vergessen Sie das, Sie werden es eh nie kapieren.
Sie haben eingeräumt, noch nie einer Redaktionskonferenz beigewohnt zu haben. Woher nehmen Sie Ihr ganzes Insiderwissen über diesen Berufsstand?
Platon musste auch nicht in einer Höhle hausen, um sein Höhlengleichnis zu schreiben. Er wusste, dass es darin dunkel ist. Dunkel wie in einer Mainstreamredaktion.
Was läuft denn konkret falsch in den Medien?
Zum Beispiel: Neulich habe ich eine Sendung im Öffentlich-Rechtlichen gesehen. Da durften zwei langhaarige Selbstdarsteller ausführlich über ihr neues Buch reden – das Thema war irgendwas mit Medien –, obwohl sie offensichtlich keine Ahnung von dem Thema hatten. Der eine musste sogar zugeben, noch nie in einer Redaktionssitzung gewesen zu sein. Das Ganze war eine einzige Werbeveranstaltung für das Buch, das sich dank solcher öffentlich-rechtlicher Promotion in den Bestsellerlisten findet. Es kann doch nicht sein, dass die vierte Gewalt nichts weiter ist als eine Werbeklitsche.
Einige Ihrer Fans haben sich wegen Ihrer jüngsten Ansichten entsetzt von Ihnen abgewen–det. Wann bekommen diese Leute Ihren massenkompatiblen Wellnessphilosophen zurück?
Ich, also der, der ich gerade bin, und wenn ja, wie lange noch, werde auch in Zukunft anecken.
Haben Sie ein Beispiel?
Zum Beispiel, indem ich die iranischen Frauenproteste aufs Schärfste verurteile, weil diese hypermoralisierenden Hysterikerinnen einen Dritten Weltkrieg nicht unwahrscheinlicher machen. Die Medienschafe können da noch so einhellig auf deren Seite blöken, ich werde mir jedenfalls nicht aus Solidarität mit irgendwelchen Damen die Haare abschneiden, Sie dumme Sau!
FLORIAN KECH
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