Quarantäne der individuellen Lösungen

Die Stadt Leipzig ist für die Krise gewappnet. Schon am sechsten Tag der Quarantäne kommt der Anruf vom Gesundheitsamt. Die Mitarbeiterin am Telefon erklärt, welches Familienmitglied genau für die nächsten zwei Wochen im Haus bleiben muss. Sie mahnt an, dass man doch bitte schon an den vergangenen Tagen daheim geblieben sein möchte. Ihre Kollegen werden das natürlich für die weitere Zeit der Quarantäne überprüfen und mal klingeln. Oder auch nicht? Man darf gespannt bleiben. Um Verständnis vorab wird gebeten.

Einen Tag später schickt das Ordnungsamt per Mail einen Bescheid über die »häusliche Absonderung«. Humaner lässt sich die Pflege eines Corona-Patienten daheim wohl nicht bezeichnen. Die E-Mail ist ein Sammelsurium an Verlinkungen zu irgendwelchen weiterführenden Informationen. Wer konkrete Fragen zur eigenen Situation hat, darf sich gern direkt ans Amt wenden. Aber bitte nicht an den Sachbearbeiter vom Ordnungsamt, der die Mail »mit freundlichen Grüßen« und »im Auftrag« (wessen?) zeichnet, sondern an das Gesundheitsamt.

Zeichnung: ARI PLIKAT

Im Anhang verweist das Amt außerdem auf einen Flyer mit »Anregungen« für Eltern kleiner Kinder, die ebenfalls von der Quarantäne betroffen sind. Herausgeber ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz in Bonn, Motto »Gemeinsam handeln. Sicher leben.« In dem Schreiben heißt es etwas orakelhaft, dass bei den Hygieneregeln »individuelle Lösungen« zu finden seien. Wie die konkret aussehen könnten, wird nicht beschrieben. Viel Spielraum bieten Seife und Desinfektionsmittel aber ohnehin nicht.

Die Behörde rät eindringlich: »Gehen Sie auf Essenswünsche ein.« Das dürfte selbst für erfahrene Eltern eine große Umstellung bedeuten. Noch dramatischer ist das Dilemma der altersgerechten Tagesgestaltung. Einerseits sollen »Zeiträume, in denen sich Ihr Kind entspannen kann« geschaffen werden. Dazu empfehlen sich gemeinsame »Entspannungsübungen«. Ob Kaffee und Kippe und abends ein paar Bierchen auch dazu zählen, bleibt offen. Man solle sich doch bitte weitere Anregungen (irgendwo) im Internet holen.

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Andererseits sollen den Kindern »Knobelaufgaben« gestellt werden. Der Spirit: Corona ist keine Bildungspandemie! Deshalb darf gern bei der Schule nach lehrplanergänzenden »Arbeitsmaterialien« nachgefragt werden. Auch die körperliche Ertüchtigung sollte nicht zu kurz kommen. Wie aber »Rad fahren« mit der häuslichen Quarantäne zusammenzubringen ist, wird nicht weiter ausgeführt.

Aber vielleicht sollte man sich auch nicht zu sehr verrückt machen, was die artgerechte Haltung von Kindern während der Isolation angeht. Immerhin rät das Amt eindringlich: »Oft ist es schon eine große Hilfe, wenn eine vertraute Bezugsperson in der Nähe ist.« Und das sollte doch in der Quarantäne auf jeden Fall möglich sein.

BS

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