Der Irrlichter
UNSERE BESTEN
Die Zeit der alten, vertrockneten Parteien ist vorbei!«, frohlockt Jürgen Todenhöfer (80). Stolz verweist der seit vielen Jahren rüstige Politiker auf die 0,5 Prozent, die sein neues »Team Todenhöfer« bei der letzten Bundestagswahl in seinem Hut gesammelt hat. »Jeder fängt einmal unten ganz klein an«, verspritzt er ungeachtet seines Nachnamens jugendlichen Optimismus und ist sicher, dass sein Verein bei den Bundestagswahlen 2025, 2029, 2033 usw. munter wachsen und er am Ende den Kanzlerstuhl erobern wird. »Ich setze mit Karacho auf die Zukunft!«, betont er und streicht sich über das graue Haar oben. Selbst marschierte er im Wahlkampf mit bestem Beispiel voran, steckte in Lederjacke und Jeans wie ein junger Hecht und duzte jedes Sie: »Mach mit!«, rief er, und tatsächlich machten 214 000 mit und bei ihm ihr letztes Kreuz. Das heißt, nicht bei ihm persönlich, sondern beim »Team Todenhöfer«, zu dem auch sein selbstgemachter Sohn namens Todenhöfer gehört, Frédéric genau genommen.
Dass Jürgen Todenhöfer den Bundestag nur von außen hören und sehen darf, stört ihn nicht. Dabei saß er selbst 28 Jahre in dem Hohen Haus ein, von 1972 n. Chr. bis 1990 unserer Zeit, als der DDR die letzte Luft ausging und die Sowjetunion zerbröckelte. Damals fuhr der studierte, promovierte und zugleich vertrauenswürdige Jurist bei den Wahlen große und ganze Zahlen ein. Er erntete mehrmals ein Direktmandat in Tübingen und war so konservativ eingespurt wie seine Wählerschaft, nur dass er damals in der CDU war und die Tübinger heute grün und bis in die Fingerspitzen progressiv ticken wie ihr Bürgermeister Boris Palmer. Rechts von Todenhöfer war nur noch Platz für die Wand. Tyrannen und Regime, die in Südamerika und Afrika wie böse Pickel auf dem Globus saßen, genossen seine Billigung, besonders das »Team Pinochet« in Chile und das wegen seiner Politik der Rassentrennung von Grund auf schief gebaute Südafrika. Aber Todenhöfer konnte nicht anders, denn wo immer die westliche Welt ins Wackeln kam, steckte der Sowjetrusse dahinter! Deshalb unterstützte der christliche Parteisoldat mit dem Gongschlag 1980 die tiefislamisch verschraubten Gotteskrieger im damals sowjetisch infizierten Afghanistan und brummte mehrmals in den Hindukusch, um aber jedes Mal zurückzukehren.
Dann kam das berühmt-berüchtigte Achsenjahr 1990. Eben noch wollte der alte Todenhöfer die Oder-Neiße-Grenze nicht schlucken, da rutschte schon der neue Todenhöfer auf die Welt. Der Mann, der mit vollen Backen wider den Kommunismus Iwan’scher Prägung und Dominanz geblasen hatte, sah nun in Mütterchen Russland den geborenen Verbündeten Deutschlands und Europas und heulte wider den überflüssig gewordenen, auf dem neu zu ordnenden Planeten irgendwie störenden Uncle Sam, Nachname USA.
Komplett umgestülpt zum Hodentöfer hatte sich Todenhöfer allerdings nicht. Seit 1987 war er neben seinen knochenschweren weltpolitischen Aufgaben und seinem tonnenharten Beruf als Bundestagsabgeordneter in der Firma seines Jugendfreundes Hubert Burda tätig. Auf diesem Seitenpfad verdiente er sich ein süßes Zubrot als Mitglied der Geschäftsführung und Adabei und konnte ab 1990, als das Verlagshaus mit seinen seriösen Zeitschriften über die Ufer trat und den Osten überschwemmte, sich für den schmerzlichen Verlust der kleinen deutschen Ostgebiete am großen Osteuropa schadlos halten.
Die Zeit macht eben nicht alles neu. Manches schmeckt weiterhin alt, wird bloß anders eingekleidet. Man muss sich nur tief auf der Zunge zergehen lassen, dass Todenhöfer mit bombensicherem Instinkt islamische Länder bereist und preist, an denen sich Amerika die Zähne ausbeißt wie Afghanistan und der Irak oder wo die von den Westmächten usurpierte Nato sich eine platte Nase holt wie in Libyen. Versteht sich, dass er sich muslimisch-lupenreinen Demokraten gern zu Füßen rollt, so 2008 den Großajatollahs im Iran und 2011 dem »Team Assad« in Syrien; 2014 reiste er mit Empfehlung des Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi sogar bei lebendigem Leib im Islamischen Staat umher, ohne ordnungsgemäß geköpft zu werden. Denn wie al-Baghdadi kämpft Todenhöfer einen Kampf gegen das »Feindbild Islam«, welchen Titel er einem seiner selbst getippten Bücher aufdrückte. Dabei gibt es ein anderes, viel besseres Feindbild, das in manchen abendländischen Gehirnen seit Jahrhunderten ankert und gerade deutschen Köpfen wie angegossen sitzt! 2014 und 2019 knatterte Todenhöfer in den Gazastreifen und entknotete zuletzt an der Grenze zum Judenstaat ein Plakat: »Liebe böse Israelis, bitte behandelt die herrlichen Palästinenser so, wie ihr behandelt werden wollt! Und stört die Hamas gefälligst nicht, wenn sie euch mit Granaten und Raketen behandelt! Schalömchen, euer Todi!«
Jürgen Todenhöfers Vater und Onkel wären randvoll begeistert gewesen. Vater Werner flutschte schon als Student während der Weimarer Judenrepublik in den NS-Studentenbund und anschließend in die NSDAP; Onkel Gerhard marschierte 1929 in die SA, hakte sich bereits 1930 in der NSDAP ein und schwang sich ins Auswärtige Amt, wo er als Referatsleiter die »Judenangelegenheiten« jenseits der engen Grenzen des Reichs erledigte. Nach 1945 streiften die beiden Braunen einfach die »rauschartige Begeisterung und Siegeszuversicht« ab und überließen es ihrem Sohn und Neffen, sie bei den IS-Kämpfern punktgenau wiederzufinden und 2015 in das Buch »Inside IS« für immer einzuritzen, weshalb ihr Nachfahr auch ein Jahr lang das lustige Werbemaskottchen des ähnlich gestrickten Freitag-Besitzers Jakob Augstein sein durfte.
»Ich denke deutsch« heißt Jürgen Todenhöfers deutsches, auf Deutsch geschriebenes und mit deutschen Gedanken angefülltes deutsches Buch aus dem Jahr 1989, als er neue Witterung aufnahm und eine frische Zukunft hinter dem Horizont hervorkriechen sah. Goldrichtig erschnupperte er sodann, dass man den ollen, gammeligen Antisemitismus und Antiamerikanismus nicht aufzuwärmen braucht, wenn man sich die radikalislamische Welt zum Duz-Freund macht. Einen Freund, der sich nicht vom Westen und seinen liederlichen Abtreibungsregeln, die die Weiber zu »frischfröhlicher Querfeldein-Hurerei« verleiten, verschlingen lässt und dem US-Imperialismus widersteht, anders als seit 45 das dumme, botmäßige Deutschland!
Aber dieses Deutschland hat sich ja nicht für immer festgefahren. »Es hat die Wahl, es hat mich!«, ruft Jürgen Todenhöfer. »Und mein Team natürlich! Also mich und mein Team, das Team Todenhöfer und mich!« Und das auch 2025, 2029, 2033ff.!
PETER KÖHLER