Aber schreiben kann er nicht

Unsere Besten

gezeichnet von Frank Hoppmann, EULENSPIEGEL 06/2019

Sie leben mitten unter uns, unauffällig. Nur manchmal, aus scheinbar nichtigem Anlass, überfällt eine Röte ihr Antlitz, und sie schlagen beschämt die Augen nieder. Die Rede ist von funktionalen Analphabeten, Menschen, die zwar einzelne Wörter flüssig lesen und schreiben, sich aber schriftlich nicht ausdrücken können.

Einige dieser bedauernswerten Kreaturen sind durchaus zu beachtlichen Leistungen fähig – eisernen Willen, geschmeidige Auffassungsgabe und eine Portion eiskalten Karrierismus vorausge – setzt. Wer kann schon aus der Lamäng so einen ewigen Satz schnurren wie diesen: »Journalismus entsteht immer auch ein Stück weit aus dem Bauch heraus«? – Nur ein gestandener Analphabet.

So einer ist der (nach dem abgängigen F. Schirrmacher) wohl berühmteste Journalist unseres Landes, der große Mahner für einen fairen Journalismus, der tapfere Streiter gegen Populismus und hektische gesellschaftliche Erregungen: Georg Mascolo, immerhin einst Chefredakteur des schriftlastigen Magazins Spiegel, wenn auch von dort »verjagt aus gutem Grund«, wie es bei Brecht heißt.

»Was?«, wird selbst der geneigte Leser fragen. »Ein Journalist, der nicht schreiben kann? Wie soll das gehen?«

Ja, früher, als Journalisten nach Zeilen honoriert, für Leitartikel gerühmt und nach Kilogramm ihrer Sachbücher gewogen wurden, wäre das unmöglich gewesen! Aber heute leben wir in einer Schwafel- und Schwätzer-Demokratie, in der Echokammer der Schwadroneure und Maularbeiter. Da kann man täglich in drei verschiedenen Sendern auftreten, von den Podien prominent besetzter Kongresse herab das Publikum oral befriedigen oder sich in die Ethik-Stunde einer Schulklasse in Schaumburg-Lippe kuscheln und knallharte Sätze sagen wie »Die Demokratie wurde uns geschenkt, wir müssen sie verteidigen«, ohne ein einziges Blatt Papier vor den Mund zu nehmen.

Na gut, das ist nun mal die Profession dieses ebenso langen wie großen Mascolo. Aber darf man ihn darob mit scharfem Urteil des funktionellen Analphabetismus zeihen? Nun, einem Mascolo-Diktum zufolge müssen »scharfe Urteile immer auch genau begründet sein. Dafür arbeiten Journalisten manchmal tage-, sogar wochenlang und reisen bis nach Syrien«. Nach Syrien sind wir wegen Mascolo natürlich nicht gereist. Aber unser Blatt gehört einem äußerst nervösen investigativen Recherchenetzwerk an, dessen Quellen wir nicht nennen können, weil wir damit tapfere Mitstreiter gefährden würden. Auch führen wir niemals Beweise für unsere schier unglaublichen Ermittlungsergebnisse an, weil das ebenfalls Rückschlüsse auf unsere Quellen und unsere Recherche-Methoden zuließe. Doch ansonsten sagen wir die Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Und die ist nun mal: Mascolo mag vieles können, aber schreiben kann er nicht.

Übrigens macht es Mascolo genauso. Er ist Chef – irgendwie war er Chef, seit er als Volontär der Schaumburger Zeitung entsprang – des einzigen deutschen Recherchenetzwerkes, das öffentlich-rechtliche Sender, die private Süddeutsche Zeitung und überhaupt die deutsche Öffentlichkeit mit absoluter Wahrheit versorgt. Frage niemand, woher die kommt und wie sie ermittelt wurde! Und wem sie nützt. Und was sie den Gebührenzahler kostet. Darüber wird nicht geschwätzt, denn – so gab sich Mascolo selbst den Marschbefehl – »wer dem Souverän« (das sind die schläfrigen adipösen Wichte vor den Fernsehapparaten) »dienen will, muss selbst souverän sein«; heißt, der darf sich nicht reinquatschen lassen.

Der Dienst am Souverän jedoch ist gefährlich. Mascolo ist praktisch der Einzige aus dem Rechercheverbund, der den Mut aufbringt, sein Gesicht unverpixelt auf die Bildschirme zu tragen, Talkshow für Talkshow, im Morgenmagazin, im Mittagsmagazin und bis bei Lanz des Tages letzte Stunde schlägt. Böse Zungen behaupten, dass gar kein Netzwerk existiert und Mascolo alle Gehälter selbst einstreicht. Seine mediale Omnipräsenz ruft natürlich Neider auf den Plan – sie nennen sein verdienstvolles Netzwerk abschätzig das »Zitier-Kartell«.

Wie jeder Mensch, so hat auch Mascolo völlig irre Momente. Regelrecht vernarrt ist er z.B. in das Menschrecht auf Meinungsfreiheit. Bitteschön, auch wir haben Meinung: Sein funktioneller Analphabetismus liegt klar zu Tage. Im gan – zen world wide web findet sich nach Jahrzehnten mascoloschen unermüdlichen journalistischen Schaffens nicht die Spur eines Artikels von ihm. Sucht man bei Amazon nach Büchern von Mascolo, erscheinen Spiegel-Titelbilder wie »Hitlers Uhr« und »Droge Zucker«. Manchmal scheint ihm das selbst peinlich zu sein. Dann hat er bei Auftritten wenigstens Autogrammkarten dabei (unter-schreiben geht ja).

Jede geistige Beeinträchtigung bringt Ersatzhandlungen hervor; vielleicht werden Psychologen eines Tages vom Mascolo-Phänomen sprechen: Ein Knabe spürt seine lähmende Schreibschwäche, entwickelt zum Ausgleich eine ungeheure Energie und wird fast zwangsläufig Notargehilfe. Denn beim Notar kann er sich an Aktenzeichen orientieren. Studium? Wenigstens die Axel-Springer-Kaderschmiede? Fehlanzeige. Er heuert bei der Schaumburger Zeitung an. Statt an der Schreibmaschine zu sitzen, wovor ihm graust, liegt er am Bahnhof Obernkirchen fünf Tage und Nächte lang hinter einer Altöltonne, bis er sich sicher ist: Hier werden Waggons mit Seveso-Gift abgestellt. Das Recherche-Genie ist geboren und wird fortan Deutschland in Atem halten! In Hannover vermutet er – wozu in Hannover keine Spürnase nötig wäre – jede Menge stinkende Skandale. Einer treibt ihn in die Spielbank und folgerichtig Stefan Aust in die Arme. Der holt ihn später zum Spiegel, dort gilt er als Kollegenschwein (die Quelle können wir nicht nennen, siehe oben!) und kann Frauen nicht in die Augen sehen (weibliche Quelle). Bei seinem Rausschmiss »verlässt er grußlos das Haus« – d.h. wohl, da war keiner, der ihm ein »Komm bald wieder, Schorschi!« hinterhergeflötet hätte.

Seitdem gibt es für ihn nur: Recherche, Recherche, Recherche. Zwischendurch, meistens dienstags, manchmal donnerstags, je nachdem, wie die Attentate fallen, ist er »unser Terrorismusexperte«. Legendär auf Youtube ist, wie er zu den Giftanschlägen in Salisbury nichts weiß – aber auch nicht reflexhaft zum Russenbeißer wird. Bei den »geheimen IS-Dokumenten« weiß er auch nicht, was drinne steht. Und sind IS-Kämpfer, die nach Deutschland zurückkehren, eigentlich gefährlich? Nö, sagt Mascolo, ein Drittel sind Kinder. »Mäßigen, nicht zuspitzen«, das ist sein Schreibimpuls (würde man sagen, wenn er nicht Analphabet wäre). Dem Evangelischen Pressedienst verriet der Meister, er wünsche sich sein Publikum nach empfangener Unterrichtung »klüger, nicht erregter«, denn wer sich aufregt, ist schon bei den Dummen.

Das geht frontal gegen sämtliche sogenannte Populisten. Denen tritt er mit dem Grundgesetz entgegen und jubiliert: »Jeder kann teilhaben und partizipieren.« Weil ja Phrasen schrittweise bzw. sukzessive schöner werden, wenn man sie wiederholt oder sogar repetiert. Für einen Analphabeten ist das doch recht ehrenwert und honorig obendrein.

Wem diese Recherche nicht gefällt, dem sei gesagt: Seien Sie klüger, nicht erregter – guter Journalismus entsteht immer auch ein Stück weit aus dem Bauch heraus.

Mathias Wedel

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Die Zitate ohne Quellenangabe stammen aus der neuen Propagandabroschüre der Bundesregierung »Schwarzrotgold«, Heft 2, 2019, der Mascolo Antworten gab. Nach Anfrage und beharrlicher Nachfrage eines Bürgers beim Herausgeber wurden die Eckdaten öffentlich: Auflage: 8,5 Millionen, die Kosten für Heft 2 belaufen sich auf 750 000 Euro brutto. Vier Ausgaben im Jahr.