Mit Hundekacke Hütten bauen

Haben es alle verstanden? Die Welt wird untergehen, und die Sonne eines Tages nie wieder auf! Um den Weltuntergangstermin irgendwie noch ein Weilchen hinauszuschieben und wenigstens ihren Abi-Ball erleben zu dürfen, ziehen jeden Freitag – natürlich nicht in den Ferien – sogenannte Schulpflichtige durch Europas Straßen und Gassen und hängen nach der fröhlichen Demo in Fast-Food-Kaschemmen ab. Sie fordern: »Äh … Klimaretten! Oder so …« Wie genau? Das kriegen wir später.

Dorthe Landschulz

Nun leben wir bekanntlich in einer offenen, zugewandten, bis in die Achselfalte achtsamen Gesellschaft. Wer laut schreit, der wird erhört, sogar, nein: vor allem wenn er Pickel hat und durch seine Zahnspange spuckt. Und etwas hat der Auflauf der Pubertierenden bereits erreicht: Die Schulen, diese Institute des Drecks, der Gewalt, des Hasses und der tödlichen Langeweile, sind plötzlich wundersam verwandelt.

Stritt man sich gestern dort noch um jeden Fetzen Klopapier, feilschten Lehrer um Elternspenden für Bastelscheren und Knete, gab es auf Klassenausflügen in der Sommerglut höchstens Leitungswasser gratis und fiel das Sportfest wegen eines Kraters in der Weitsprunggrube aus, umweht neuerdings ein warmer Hauch der Großzügigkeit die Bildungsanstalten. Plötzlich brodeln verfügbare »Töpfe« vor sich hin. Sie tragen mystische Namen: BRÜSSEL oder LANDESSON-DERMITTEL oder BILDUNGSOFFENSIVE. Aber Achtung – die Deckel bleiben drauf bis zu jenem glücklichen Tag, da die Schulleitung der Behörde gegenüber glaubhaft machen kann, dass sich die Schule in den Dienst der Klimarevolte stellt. Dann aber fließt süßer Brei wie im Märchen und erfüllt die Zuchtanstalt vom Keller bis zur Abstellkammer für analoge Anschauungsmaterialien.

An der »Dinkelchen Grundschule« in Berlin-Pankow hat der Lehrkörper die Zeichen der Zeit erkannt. Hier spricht man jetzt Öko. Das kommende Schuljahr wird nicht irgendeins, es wird ein »Umweltjahr«. Alles andere sind Nebenfächer; ab Klassenstufe zwei fließen sämtliche Humanreserven in die Rettung des Planeten, bekanntlich der einzige, den wir haben. Vorerst jedoch überwiegend symbolisch: An der Wandzeitung im Foyer wurden die Erfolge der Fußballmannschaft und die Sammelbüchse fürs SOS-Kinderdorf entfernt. Eine leibhaftige Gießkanne wurde aufgehängt. Sie begießt unsere Mutter Erde mit vielen tollen Ideen, die in ihrer Summe die allgemeine Erhitzung hierzulande unter zwei Grad begrenzen werden.

Die »Klimaschule«, wie sich die Dinkelchen jetzt nennen, ist aufgewacht.

Kindliches Volk lungert auf dem Pausenhof rum und tauscht sich darüber aus, wie man Vater und Mutter dazu zwingen kann, ihre verdammten CO2-Fußabdrücke zu verkleinern. Außer freitags natürlich, da verhält sich die Schule vollständig solidarisch mit den Demo-Kindern, also klimaneutral, weil selbst die Pausenklingel, dieser Wattfresser, abgeschaltet ist.

Viel hängt natürlich von den Lehrern ab, eine Berufsgruppe, die Innovationen bekanntlich begierig aufgreift. Welch ein Glück, wenn man eine Lehrerin wie Frau Gärtner hat! Im Klassenraum ihrer Dritten herrscht flirrende Vorfreunde. »Von nun an wird Geschichte geschrieben«, ruft Frau Gärtner, »wir werden einen ganzen Sack voller Klimarettungsideen nach Hause tragen.« (Sie hat, wiederum symbolisch, ein Jutesäckchen dabei.) Sie kann kaum glauben, dass sie plötzlich ernst genommen wird. Jahrelang wurde sie im Kollegium als »Klimakterierin« verspottet. Sie sammelte Alufolie von den Pausenbroten der Kinder und brachte sie persönlich zum Wertstoffhof, tauschte Filzstifte gegen Wachsmaler und zog Setzlinge auf der Fensterbank. Sogar ein Mülltrennungssystem führte sie im Klassenraum ein. Bisher musste sie hilflos zuschauen, wenn der syrische Putzmann den von ihren Schülern liebevoll getrennten Abfall in einem großen Sack wieder zusammenschüttete. Das ist nun vorbei. Jetzt stellt sie sich wie eine Eiche vor die Putzkraft und sagt: »Nein! Im Namen des Klimas.«

Aber nicht nur sie – viele ältere Kollegen sind kampagnenfähig. Denn nicht zum ersten Mal gibt es unerwartet reichlich Geld für dringende Gefahrenabwehr. Damals ging es buchstäblich um den Volkskörper. AIDS drohte, die West-Deutschen zu dezimieren, so dass nach ein paar Generationen nur die DDR übrig geblieben wäre. Doch früh übte man im Klassenverband das kleine Einmaleins des Präservativs. Hundertschaften von Ehrenamtlern zogen durch die Schulen, klärten auf und fummelten Gummis über Bananen. Der Erfolg war durchschlagend – die Westdeutschen haben überlebt.

Warum sollte das beim Klima nicht auch klappen?

Aber auch die Eltern müssen mitziehen und begreifen, dass der Schulerfolg ihres Kindes von der Rettung der Erde abhängt. Alle Kinder sollen »Umweltaktivisten« werden –so oder ähnlich verlangt es der Bewilligungsbescheid – »das muss mit einem tiefen Bewusstseinswandel in den Familien einhergehen«. Frau Gärtner freut sich per Mail auf zahlreiche Aktivitätsprotokolle der Erziehungsberechtigten. An den Abendbrottischen der Drittklässler spielen sich daraufhin verzweifelte Szenen ab. Jeder Joghurtbecher, jede Wurstpelle und die Wurst selbst werden kritisch bewertet. Stauseen voll Wasser sind nötig, um ein Kilo Mortadella zu erzeugen. Also Mortadella verbannen? Wasser sparen? Zum Abendessen Fanta trinken, wie die kleinen Streiter für Klimagerechtigkeit sogleich vorschlagen?

Klaus Stuttmann

In den folgenden Tagen trudeln bei der Gärt – ner noch zahlreiche andere klimapolitische Kurzschlüsse ein:

  • Tauben abschießen, um Singvögeln wieder mehr Nistplätze zu bieten,
  • aus Hundekacke Lehmhütten bauen, vor allem für Flüchtlinge,
  • mit Spucke die Schultafel wischen,
  • überhaupt mehr aus Kacke machen,
  • vielleicht auch aus Pisse (Düngung der Jung-pflanzen auf Frau Gärtners Fensterbrett),
  • beim schnellen Gehen die Füße heben, damit der Sohlenabrieb keinen Feinstaub freisetzt (also nicht »auf den letzten Drücker« zur Schule rennen),
  • verstehen, dass es nicht der Kapitalismus ist, der die Erde aussaugt, sondern die Konsumenten.

Die Kinder sind wie im Rausch – die Eisbären und den Regenwald retten und einen winzigen Kratzer in Papas Diesel kratzen, so sieht sie aus, die Revolte der No-Future-Kids.

Nur schade, dass einige Eltern aus Prinzip immer was zu nörgeln haben.

Ihre Kinder sollten nicht mit solchen Themen belastet werden. Was können sie schon ausrichten? Die könnten noch nicht mal eine Kaffeemaschine bedienen. Ein Vater (deutscher Ingenieur) stellt sich in einer Mail an die Schulleitung gegen den »Klima-Furor der Frau Gärtner« und »die Faktenlage klar«: Für einen Leinenbeutel könnte man mehr als hundert Plastiktüten produzieren, schreibt er. Und Windräder köpfen den Schreiadler und schreddern die Meisen.

Ja, konzediert die Schulleitung, viele Fragen seien offen. Vor allem die, ob es wirklich noch finanzielle Zuwendungen vom Schulamt gebe, mit denen sich die Schüler in die Senkung der weltweiten CO2-Emmissionen einbringen könnten – und freundlichen Gruß.

Die 3c wird nun ein Jahr lang ein Insektenhotel bauen. Dafür kriegt man zwei Quereinsteiger auf Minijobbasis. Bauleitung hat Frau Gärtner, die auch dafür sorgt, dass die Errichtung dieser »Brutstätte für neues Leben« fächerübergreifend erfolgt (auch Musik, Sport, Religion). Ein Projekt, das die Grundschulzeit der Drittklässler überdauern und Generationen von Hummeln, Wespen und Feuerkäfern ein Zuhause sein wird. Natürlich nur, wenn es unseren Planeten dann noch gibt.

FELICE VON SENKBEIL

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