Meisterwerke

Kunst von EULENSPIEGEL-Lesern, gediegen interpretiert

Vordergründig haben wir es als Kunstfreunde hier mit einem Werk zu tun, das sich dem Zwischenmenschlichen im Alltag widmet. Eine Person, der Wahrscheinlichkeit nach eine Frau, fragt ihren »Liebling«, ob denn das Bild schon an der Wand hinge, was der so Angesprochene bejaht – und wie der Betrachter sehen kann, mit Fug und Recht bejaht. Die Frau, man kann es sich denken, wird im Anschluss ihren Liebling loben und für sein handwerkliches Geschick mit hemmungslosem Geschlechtsverkehr belohnen.

Doch große Werke wie dieses offenbaren nicht den gesamten Inhalt auf Anhieb. Um in die tieferliegenden Bedeutungsschichten zu gelangen, betrachten wir zunächst den Mann, der gemäß den Regeln des Goldenen Schnitts im linken Drittel des Gemäldes die meiste Aufmerksamkeit auf sich zieht. Seine geweiteten Pupillen verraten, dass er entweder auf einem schlimmen LSD-Trip oder von irgendetwas höchst beeindruckt ist. Er scheint so sehr überwältigt zu sein, dass er sogleich nach hinten umkippen wird.

Woher rührt dieses Erstaunen? Von der verbeulten Wand, vor der er steht? Von dem einzigen im Raum befindlichen Möbelstück, dessen versägte linke Hälfte zur Seite zu kippen droht? Von der Rückwand des Raumes, die hinter dem Schrank aufhört, um dann, ein gutes Stück nach hinten versetzt, weiter zu gehen? Oder von all dem zusammen? So jedenfalls ergeht es uns als Betrachter, denen das komplette Ensemble eine Labilität und damit eine Verletztlichkeit und Anmut vermittelt, wie sie heutzutage selten geworden sind. Grund für das Aussterben der verletzlichen Architektur sind die strengen und unsinnigen Bauvorschriften, mit denen in Deutschland jegliche Kreativität schon im Keim vernichtet wird. Lediglich die Kunst hat heute in diesem Land noch die Freiheit, der engstirnigen Bauaufsicht und dem beckmesserischen TÜV, der wegen jeder funtkionsuntüchtigen Entrauchungsanlage den Untergang des Abendlandes nahen sieht, den Stinkefinger zu zeigen.
Künstler müsste man sein!

E. Lütke-Daldrup