Forke und Fackel: Das Magazin für den aufgebrachten Agrarökonomen

Haus- und Hofmitteilung

Liebe Essende!

Die Angst vorm Verhungern schien in Mitteleuropa ausgestorben. Mit überquellenden Einkaufskörben kehrten wir aus den Discountern nach Hause, mussten uns dort vom Ehepartner schelten lassen, weil wir wieder mal planlos irgendwas gekauft hatten, das überhaupt nicht zusammenpasste und viel zu viel war für einen Zweipersonenhaushalt, weshalb das Zeug regelmäßig im Gemüsefach zu einer schlotzigen Pampe mutierte. Ans Verhungern war nicht zu denken. Dass dies einmal anders sein könnte, war bis vor ein paar Tagen unvorstellbar.

Doch als ich vorgestern das an einem Traktor befestigte Schild mit der Aufschrift »Stirbt der Bauer, stirbt das Land« las, wurde ich nachdenklich. Verstärkt wurde diese Nachdenklichkeit dadurch, dass der Traktor einer von neun war, der die vor mir liegende Kreuzung in Richtung Berlin blockiert hatte, und ich, nachdem ich mehrfach durch Hupen und eindeutige Gesten meinen Unmut über die Blockade zum Ausdruck gebracht hatte, mich von einem halben Dutzend Agrarökonomen umringt sah, die mich fragten, wo ich denn so eilig hinwolle.

Zunächst erklärte ich, dass mir leider nicht so viel Freizeit vergönnt ist, um durchs halbe Land zu zuckeln und anderer Leute Zeit zu stehlen. Aber nachdem ich versichert hatte, dringend ins Krankenhaus zu müssen, um einem im Sterben liegenden Waisenkind eine Niere zu spenden, gestattete man mir, die blockierte Kreuzung über den angrenzenden Acker zu umfahren. Zwar kann es mein Porsche-SUV PS-mäßig problemlos mit den Bauern-Vehikeln aufnehmen, aber der Wagen war frisch gebohnert, und so umging ich die Absperrung zu Fuß, um mir auf der anderen Seite ein Taxi zu rufen.

Seitdem frage ich mich: Was passiert, wenn der Landwirt ernst macht und einfach aufhört, seine Felder zu bestellen? Für den Bauern wird sich nicht viel ändern, da er auch weiterhin die Subventionen erhalten wird, die er dafür bekommt, dass er Land besitzt. Aber ist der Rest der Bevölkerung auf eine so umfangreiche Diät vorbereitet? Und wie konnte es überhaupt so weit kommen? Denn es ist noch nicht lange her, da verkündete »agrarheute«, das Sprachrohr des Bayerischen Bauernverbandes: »Für Landwirte im Nebenerwerb wurde 2022 alles besser: Umsatzerlöse, Gewinn und Einkommen stiegen kräftig … es gab die höchsten Umsatzerlöse seit mindestens 22 Jahren.« Keine zehn Monate später steht die deutsche Landwirtschaft vor dem Aus, weil sie von skrupellosen Klimafreunden in der Regierung dazu gezwungen wird, innerhalb der nächsten drei Jahre auf eine angeblich klimaschädliche Steuervergünstigung zu verzichten. Nie zuvor hat ein Berufsstand stärker unter staatlicher Unterdrückung gelitten!

Doch anstelle von Solidarität gibt es vereinzelt kritische Stimmen. »Kartoffel-Mob«, »Gülle-Geschwader« und »inzestuöses Dorfgesocks« sind noch die harmlosesten Injurien (= Beleidigungen; Anmerkung für die Bauern unter unseren Lesern), die sich die Agrarökonomen gefallen lassen müssen. Dass angesichts dessen die Proteste bisher nicht blutiger ausfallen, ist vermutlich nur der Einfallslosigkeit und dem schlichten Gemüt der Landbevölkerung zuzuschreiben.

Ich jedenfalls habe seit meiner Begegnung an der Kreuzung allergrößte Hochachtung vor jenen, die mit ihrer bloßen Hände Arbeit und ein wenig Wasser der trockenen Krume die schönsten Früchte abtrotzen.

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Bleibt zu hoffen, dass auch die Regierung so denkt. Am kommenden Montag, 15. Januar, wollen sich der Kanzler und weitere Regierungsmitglieder mit den – völlig zu Recht! – empörten Landwirten treffen. Zwar können wir aufgrund des Redaktionsschlusses das Ergebnis des Treffens nicht abwarten, doch es scheint offensichtlich: Zuerst wird die Regierung die schrittweise Subventionsstreichung für Agrardiesel zurücknehmen, dann zwei, drei weitere Subventionen drauflegen und schließlich werden Frank-Walter Steinmeier und das gesamte Kabinett – nur mit Kuhglocken bekleidet – auf der Grünen Woche den neuen Bauernstaat ausrufen, der gelenkt werden wird von einem Bauernrat und der Software, die die Melkmaschinen und Brunsterkennung der Kühe steuert.

Wir Mägde und Knechte vom EULENSPIEGEL begrüßen daher schon mal vorsorglich unsere neuen Herrscher mit einem kräftigen »Lang lebe der Landmann!«.

Und bitte lasst uns nicht verhungern!

Chefredakteur

Weiterlesen auf insgesamt 5 Seiten im EULENSPIEGEL

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