Eintopf der Gefühle

FERNSEHEN

Der – für naive Gemüter – schönste Tag im Leben wird mal wieder von Vox produziert. Guido Maria Kretschmer moderiert die Heiratsshow »Guidos Wedding Race«. Leider nicht der Wedding, der alte Berliner Arbeiterbezirk, wo es wirklich was zu gucken gibt. Bei «Guidos Wedding Race« geht es nicht ums Ob – die Paare sind quasi schon verkuppelt, haben einen Vertrag mit der Anstalt unterschrieben und sehen somit ihrer Zwangsverheiratung entgegen –, sondern um das Wie. »Märchenhaft schön« wird es selbstredend werden. Aber wie märchenhaft? Wie schön?

Heiraten ist wieder fast so beliebt, wie es in der DDR war. Aber damals bekam man für den Quatsch eine Zweiraumwohnung, eine Waschmaschine und ein Aufnahmeformular für die SED. Heute kriegt man einen Balg aus seiner ersten Ehe. Und natürlich seine Schulden und seinen Schufa-Eintrag.

Zeichnung: Michael Holtschulte

Auch halten sich Gerüchte, die Ehe sei eine Steuersparoase, und ein Ehevertrag könne Seitensprünge verhindern. Eigentlich kann man nur umfassend warnen: Illusionslose Ehen sind nur die, die zur Vermehrung des fixen Kapitals gestiftet werden, die sind auch die stabilsten.

Heutzutage wird es bei den jungen Spießern ab Mitte 20 schon ernst. Statt mit ihren Sexabenteuern prahlen Typen damit, schon einen Antrag gemacht zu haben. Die Damen schauen sehnsüchtig in jedes Weinglas, ob nicht endlich ein Verlobungsring drin schwimmt. Es wird geträumt, geplant und Geld zusammengekratzt. Eine »Traumhochzeit« wollen sie, also eine Ehe, in der der Selbstbetrug schon am ersten Tag beginnt – und Guido Maria Kretschmer will das ganz dolle auch: »Ich bin so gespannt auf unseren romantischen, aufregenden und fröhlichen Wettlauf zum Glück.« So ungeniert greift keiner in die Kitschkiste.

Guido ist kein gewöhnlicher Showmaster, er ist Coach, beste Freundin, Paar-Therapeut und Übermensch. Anders als der Rechtsbeistand bei der Scheidung ist Guido der Gefühlsbeistand für beide Partner. Gottgleich, mit mildem, weihnachtlichem Lächeln schaut er den Paaren dabei zu, wie sie sich mit albernen Spielen den Weg zu ihm erkämpfen. Der Weg – das ist nicht weniger als der Zugang zu seinem Herzen! Dabei werden süße Geheimnisse verraten, Familienmitglieder verhört über deren Trinkgewohnheiten, und es wird sehr viel gegrapscht.

»Guidos Wedding Race« ist eine Mischung aus »Herzblatt«, »Traumhochzeit« und »Shopping Queen«. Drei Paare treten händchenhaltend gegeneinander an. Eins bilateral weiblich. Jeder Satz, auch die zickigen, wird mit Küsschen bedacht, die Tränendrüsen drohen jederzeit zu platzen und die Aufgaben haben es in sich.

»Oh Gott, wie süß, was mit Hunden«, ruft »Team Vulva« (der Redakteur, der den Teamnamen erfunden hat, sollte einen Gender-Preis bekommen). Hunde braucht aber niemand. Den Parcours auf dem Hundetrainingsplatz absolvieren die Frauen selbst, natürlich blind. Warum? Na, weil Liebe bekanntlich blind macht, und weil man sich in diesem irren Zustand blind vertraut. Im richtigen Leben macht ein blindes, lesbisches Paar natürlich keinen Hundeparcours, sondern hofft, dass es eine behindertengerechte Wohnung findet. Aber wir sind ja nicht im richtigen Leben.

Die beiden kriechen durch Schläuche und klettern über Hindernisse und sehen dabei nicht immer vorteilhaft aus. Aber was macht man nicht alles aus Liebe! Sie schaffen es, zum Glück. Ein Scheitern hätte »Team Vulva« in ihre beiden Teile zerlegt. Und was ist der Lohn? Sie erkämpfen sich eine Strophe dieses traumhaften Liebesgedichts:

»Die Liebe ist wie ein Gedicht.
Denn ohne Gleichklang geht es nicht.
Dein Herz reimt sich perfekt auf meins.
Wir sind zu zweit und wir sind eins.«

Jahrhunderte deutscher Lyrik, angefangen von Walther von der Vogelweide über Rilke bis Brentano stehen in den Bücherregalen, und solche Stümperreime schaffen es ins Fernsehen.

Noch mehr als gekuschelt wird geweint. Scheinbar anlasslos, denn alles ist Symbolik, schicksalhaft, magisch. Die vierfache Mutter schlüpft, bebend vor Erregung, in ihr Hochzeitskleid, »ein Traum« aus Tüll und Polyester, mit Schleier bis zur Kellertreppe, und haucht den Satz, der einen ganzen Eintopf von Gefühlen zum Sieden bringt: »Das ist mein Kleid!« Da gibt es kein Halten mehr! Alles heult. Nur die Brautkleiderfachverkäuferin rechnet leise die Preise zusammen.

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Als Guido beim dritten Paar vorbeischaut, liegen die Nerven schon blank. So viel Liebe ist ja kaum auszuhalten. Da platzt es aus dem Menschenfreund heraus: Er wird die Ringe der beiden designen, er, der göttliche Guido himself.

»Waaasss?« Die Braut ringt um Luft, weint, wimmert wie eine getretene Karpaten-Ziege, fällt ihrem Liebsten um den Hals. »Dass ich so ein Glück habe im Leben, dass der Guido uns unterstützt, eine Verbindung mit uns aufbaut mit dem Ehering.« Das muss sie sofort »auf Insta posten«. Und die nächsten Versatzstücke Dilettanten-Lyrik lernen sich wie von selbst:

»Noch mehr Glück kann es nicht geben,
ohne dich will ich nicht leben.
Ich liebe dich mit Haut und Haar,
drum müssen wir zum Altaaaar!«

Altar? Die Kirche braucht hier niemand. Guido ist doch da.

Guido wird – das ist das Verrückte – nur auf einer der drei Hochzeiten knuddeln, denn ein Genius darf sich nicht verschleißen. Er beehrt die Hochzeit von Maria und Stefan. Mehr noch: Er nimmt die Trauung vor. Er ist die höchste weltliche und kirchliche Instanz, er ist der Gott des Kitsches und des billigen Dekors.

Für alle, die noch keine Alimente zahlen müssen: Das ist echtes Wohlfühlfernsehen aus den Neunzigern.

FELICE VON SENKBEIL