Ein Sahneschnittchen weniger

FERNSEHEN

Mit »Es sind schwierige Zeiten« verabschiedet sich Christian Sievers nach dem »heute Journal« statt mit »Schönen Feierabend und bis morgen!«. Überall Krisen, Dramen und schlechte Laune.

ANDREAS PRÜSTEL

Und nun kann selbst der MDR, der über 30 Jahre lang den »Blühende Landschaften«-Dankbarkeits-Pegel bei den Ossis hochzuhalten versuchte, nicht mehr beim Fröhlichsein und Singen helfen. Dabei ist diese Insel der infantilen Sonntagsstimmung die einzige wirksame Waffe gegen die Wut der Ostdeutschen. Der Rücktritt von Nancy Faeser würde sie nicht befrieden, nur die Wiederbelebung von »Da lacht der Bär« oder »Ein Kessel Buntes« könnte das schaffen. Vielleicht. Aber es gibt zum Glück unsern Flori! Mit der »Feste«-Reihe präsentiert Florian Silbereisen, der Hipster der Schlagerszene, zu allen möglichen Anlässen – Sommer, Herbst, Menopause, Brückentag oder Weihnachten – musikalische Leckerbissen. Mal werden die 80er gefeiert, mal 150 Jahre irgendwas – aber immer die »wunderbaren« Künstler, die »wunderbarsten«, die im schönen Heimatland aufzutreiben sind. Dieses ständige Gefeier soll nun ein Ende haben, denn der MDR will fünf Millionen Euro einsparen. Und ausgerechnet der Silbereisen muss dran glauben …

Die Silbereisen- Shows sind nicht weniger als das Lebenslicht des Senders. Emotionen, Liebe, Tradition und Lederhosen – dazu körperenger Gemeinschaftsspaß im Publikum. Besser kann Unterhaltung nicht sein. Florian Silbereisen selbst bezeichnet seine Abendshows als »Wellness für die Seele«, also sozusagen das »Traumschiff« als Saalvariante und als Gegenpol zur Angst vorm Erfrieren bei Heizungsausfall und anderen schlechten Nachrichten.

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Schlagerstars haben bei den Silbereisenshows ein Zuhause gefunden, junge Talente werden von ihm gepusht, alte liebevoll bis zum Schluss begleitet. Die Gebrechlichen sitzen in der ersten Reihe und weinen, wenn »Ein Bett im Kornfeld« von jungen vom Alkohol noch nicht zerfressenen Interpreten in neuem Glanz dargeboten wird. Wie ein Wanderzirkus bereist der Flori mit seiner Schlagerfamilie das Land, auch den Westen, und bringt Lebensfreude in scheintote Orte zurück. Zum Bespiel Dortmund. Denn es gibt tatsächlich Gegenden, in denen wird noch weniger gelacht als im Osten. Aber wenn Silbereisen mit dem Speedboot angerauscht kommt, beginnt jeder, sogar der mitgeschleppte polymorbide Ehepartner, zu schunkeln und jauchzen. Warum? Es ist wohl Magie oder eine geheime Substanz im Bier. Silbereisens »Feste« sind nämlich eigentlich Kirchentage, nur die Lüge ist eine andere: »Lebensfreude«.

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Silbereisen liebt Mutproben (er war – und ist – das jüngste von fünf Kindern, da lernt man sich durchzusetzen). Der Mann sucht den Kick. Er soll sogar tätowiert sein. Mit einem Helikopter lässt er sich zur Begrüßung der Show »Schlagerboom« abseilen. Er schwebt durch die Lüfte, ein launiger Engel (s. Kirchentag) im James-Bond-Kostüm. So was lieben die Fans, sagt er. Das ist natürlich nicht billig, aber geil. Die Silbereisen-Shows sind cool, jung und absolute Quotenbringer. Erstaunlich ist die völlige Enthemmtheit des Publikums. Es ist noch schamfreier als im ZDF-Fernsehgarten. Es trägt lustige Brillen und Hüte und grölt: »Keine geht so ab wie du … mach’s wie ein Känguruuu…«. Entweder werden die bedroht oder sie haben wirklich Spaß. Wo gibt es denn so was heute noch? Beim MDR jedenfalls bald nicht mehr. Für den Silbereisen selbst wird es sicher nicht so dramatisch. Er ist der Zuhälter der Schlagersklaven und kassiert bei jedem Ton mit. Nur der MDR wird ein Sahneschnittchen weniger auf dem Tablett zu bieten haben und die Ossis können sich ein weiteres Mal betrogen, beraubt und ungeliebt fühlen. Es sind eben schwierige Zeiten.

FELICE VON SENKBEIL

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