Mit Fantasie ist jeder reich

Endlich kommt sie, die Kindergrundsicherung! Es wird auch höchste Zeit, dass die Gören was zum Familieneinkommen beitragen.

Früher bedeutete Kindersegen Reichtum, heute Verarmung – in meinen Fall vor allem kultureller Natur. Keine Theaterbesuche mehr, nicht mehr ins Kino (außer »Bibi und Tina«), keine Bildungsurlaube mehr nach Jerusalem, dafür viel Konversation in intellektuell flachen Fahrwassern.

Aber auch finanziell sind Kinder natürlich eine Belastung, die ich jedoch, so gut es ging, kaschieren konnte. Meine Kinder sollten sich nicht arm fühlen und ich mich natürlich auch nicht. Dafür hatte ich einige Tricks auf Lager: Wenn es mal ins Kino ging, nahm ich immer den süßen Kleinen mit an die Kinokasse. Er lugte niedlich über den Tresen, ich streichelte ihm das Blondköpfchen und behauptete, er habe heute Geburtstag. Damals gab‘s noch Freikarten mit Softdrink. Das klappte nicht jede Woche, denn dann wäre er ja im Zeitraffer 14 geworden.

BETTINA SCHIPPING

Wenn wir in den Urlaub fuhren, dann immer ins Kohleabbaugebiet in der Lausitz. Wir starteten die Reise spät in der Nacht, da schliefen die Kleinen im Auto, und wenn sie erwachten, behaupteten wir, schon zwölf Stunden unterwegs gewesen zu sein. Dort spielten wir am Rand des Tagebaurestlochs Strandurlaub in Spanien nach. Ich hatte ein paar Freunde mit Spanischkenntnissen eingeladen und jeden Abend Tütenwein und Apfelsaft zu Sangria vermischt. Das war ein Spaß! Und die Kinder wurden auch nicht so schnell betrunken. Jahrelang gaben sie in der Schule damit an, wir könnten uns Auslandsurlaub leisten.

Die Kleidung für die Kinder lieh ich eigentlich immer beim Versandhändler. Ich schickte nach zehn Tagen alles zurück und bekam ein neues Paket mit genau den gleichen Teilen. So sparte ich auch Waschmittel und Stromkosten. Die Kinder waren immer topaktuell und chic angezogen, denn sie hatten gar keine Zeit, Löcher in die Hose zu reißen.

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Mussten wir dann doch einmal Wäsche waschen, verbanden wir dies ohnehin mit der Badewanne.

Es blieb einfach alles an. Statt Duschbad bekamen sie Aschelauge, die ich in reizende Flacons füllte (bis heute glauben die Jungs, Duschbad müsse grau sein). In der Shampooflasche war Fit. Das schäumt viel besser und ist wahnsinnig ergiebig.

Geschenke für Kindergeburtstage waren immer eine große Herausforderung. Da wollten meine Söhne natürlich mithalten. Aber ich schaffte es, ihnen einzureden, dass die Freunde sich über Persönliches mehr freuen würden als über gekauftes Lego. Also bastelten sie aus Salzteig tolle Rennautos und Transformers-Figuren. Die hielten zwar nicht lange, aber dadurch ergaben sich Geschenkideen fürs nächste Jahr.

Einen Friseur kennen meine Kinder gar nicht. Das macht alles unser Meerschweinchen. Es knabbert die lustigsten Igelfrisuren und übernimmt ebenfalls kleinere Operationen wie Zecken- und Splitterentfernungen.

Ins Schwimmbad kletterten meine Kinder immer über den Zaun. Heute geht das natürlich nicht mehr. Heute sind Freibäder wie Festungen, hinter deren Mauern der Krieg tobt. Dort könnte man höchstens einen JVA-Ausbruch nachspielen. Im Schwimmbad bekamen die Kleinen natürlich, wie alle anderen Kinder auch, Pommes und Eis. Allerdings nicht ohne Einsatz. Der Kleinste war ein Profi im Vortäuschen von Badeunfällen. Nach seiner Rettung hat ihm der verfettete Rettungsschwimmer niemals die Pommes aufs Haus abgeschlagen. Restaurantbesuche versuchte ich zu minimieren. Und wenn es doch mal sein musste, schob ich die Kinder so nah wie möglich an der Küche vorbei. Schwitzige Köche, schmierige Ablagen, Fettklumpen an der Lüftungshaube und mit etwas Glück huschte auch mal ein Nager vorbei. »So, worauf habt ihr Appetit?«, fragte ich dann und zählte im Kopf das Geld, das wir hier nicht ausgeben würden.

Es war mir natürlich wichtig, die Kinder gesund zu ernähren – und billig! Dafür griff ich auf Schätze der Natur zurück, wie ich sie nannte. Löwenzahnsalat, Taubeneierkuchen und Schneckenfleischsalat nach einem französischen Rezept. Sonntags servierte ich Spreekarpfen mit frischen Saatkartoffeln. Das war bio und gesund. Natürlich gab es auch oft Nudeln, aber die waren damals nur halb so teuer wie heute. Das Wichtigste in der sparsamen Kindererziehung ist, alle beeindruckenden Erlebnisse ins Kindergartenalter zu verlegen. Das Erinnerungsvermögen ist dann noch nicht so ausgeprägt und Geschichten können in der Nacherzählung geschönt werden. So in etwa: »Weißt du noch, dein dritter Geburtstag? Da haben wir dir einen Clown gemietet (300 Euro) und waren im Tierpark mit der ganzen Familie (150 Euro). Danach ging es auf den Fernsehturm (200 Euro), und dann haben wir jeder ein Stück Kuchen gegessen. Zum Abschluss gab es sogar zwei Kugeln Eis (50 Euro) für alle deine Freunde.« Ein solcher Ausflug wäre in der Realität undenkbar gewesen, aber in der Erinnerung durchaus realistisch. Leider gibt es Kosten, die lassen sich nicht vermeiden. Beiträge für den Fußballverein, den Klavierunterricht, die Reitstunden, die Schulbücher und das Handy. Das alles muss sein, damit man nicht auffliegt.

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Glücklicherweise hatten meine Kinder einen guten Riecher für Leergut entwickelt. Sie sammelten nebenbei im Sportbeutel und im Puppenwagen Flaschen. Das klingt vielleicht etwas traurig, aber mit der richtigen Einstellung ist auch dies nichts anderes als Schnitzeljagd. Was Geschenke angeht, sind meine Kinder über die Jahre immer genügsamer geworden. Mittlerweile wünschen sie sich eigentlich nur Weltfrieden und das Ende des Klimawandels. Dafür male ich ihnen Gutscheine, die wir dem Bundeskanzler schicken. Diesmal wollten sich die Jungs für die neue Kindergrundsicherung bedanken. Dafür, dass auch andere Kinder eine so sorglose Kindheit haben können, wie sie sie hatten. Ich musste laut lachen.

FELICE VON SENKBEIL

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