Kesse Miezen und oberaffengeile Raketen

Die Bundeswehr leidet unter Nachwuchsmangel. Deshalb hat der Oppositionsführer und passionierte Hobbypilot von gehobenen Mittelklasseflugzeugen Friedrich Merz gefordert, dass der deutschen Armee freier Zugang zu Schulen gewährt werden soll. Doch selbst wenn sich Merz mit dieser Forderung durchsetzen sollte, bleibt es fraglich, ob die Chaostruppe logistisch in der Lage ist, in die Bildungsstätten einzudringen. Auf dem Übungsplatz der Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne in Augustdorf probt man darum schon heute den Ernstfall.

Der Vormarsch des Stoßtrupps gerät vor den Attrappen einer stilisierten Schule jäh ins Stocken. Sofort wird über Funk Unterstützung angefordert. Es dauert nicht lange und die Selbstfahrlafetten bringen sich in Stellung und feuern aus sicherer Entfernung einige Salven auf das Eingangsportal. Eine Wand stürzt ein. Danach stürmen 20 Soldaten der neugegründeten Spezialeinheit »Kommando zur Neugewinnung infantilen Rekrutenpersonals an Schulen« (KNiRpS) in das Gebäude, bringen einen Overheadprojektor nebst Leinwand in Stellung und bauen einen Beratungsstand der Bundeswehr auf.

Es folgt kurzer Applaus. Das Übungsziel für den heutigen Tag ist erreicht. Hauptfeldwebel Markus Görenfang tritt vor seine Soldaten und beginnt mit der Manöverkritik. Im Großen und Ganzen lobt er das Vorgehen, gibt aber zu bedenken, dass man die Türklinke das nächste Mal auch einfach herunterdrücken und so noch schneller in das Innere des Schulgebäudes gelangen könne. »Aber das sind Marginalien«, sagt er den erleichterten Soldaten. Wichtig sei lediglich, dass man den Feind jetzt genau in die Lage gebracht habe, die man sich vorher erhofft hatte. »Wie wir den Feind überzeugen, eine Grundausbildung bei der Bundeswehr zu beginnen, lernen wir dann morgen. Wegtreten!« Später in der Kaserne erklärt er, dass die Soldaten die Schüler natürlich nicht als Feinde im eigentlichen Sinne betrachten. »Wir sind ja keine Lehrer«, gibt er lachend zu bedenken. Aber das Vokabular in der Truppe ist nun mal, wie es ist. Und bei dem Begriff »Feind« wisse nun mal jeder Soldat, dass es sich um eine Person von herausgehobener Wichtigkeit handelt, der man allerhöchste Beachtung zukommen lassen muss. Das helfe den Kameraden, um die Brisanz ihrer Aufgabe zu erfassen.

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Görenfänger blickt auf eine Taktiktafel, die an der Offiziersschule des Heeres entwickelt wurde. »Das waren unsere ersten Ideen, die wir auch auf Grundlage des reichhaltigen Erfahrungsschatzes unserer Soldatinnen und Soldaten erarbeitet haben.« Für den militärischen Laien ist das Wirrwarr aus taktischen Anweisungen nicht zu durchdringen. Der Soldat erläutert: »Aus westlicher Richtung nähert sich ein Trupp mit 20 Kästen Alkopops. Die Getränke werden in der großen Pause auf dem Schulhof abgestellt. Bevor alles ausgetrunken ist, wird eilig ein Informationsstand an den angegebenen Koordinaten errichtet. Dort kann sich der Feind dann ein bisschen angetüdelt per Unterschrift für 25 Jahre verpflichten.«

»Eine wunderbare Idee, die aber schwer umsetzbar ist. In der Praxis hat sich herausgestellt, dass sämtliche alkoholischen Getränke in unseren Kasernen über Nacht verdampfen. Egal, wie viel wir einlagern, am nächsten Morgen ist nichts mehr da«, seufzt Görenfänger und nimmt einen kleinen Schluck aus einer bunten Aluminiumbüchse.

Nun müssen neue Taktiken ersonnen werden. In der Kaserne läuft dazu gerade ein kleines Casting. Zwei Mittdreißiger mit einem Edgar-Cut, einer Frisur, die sich gerade unter zivilen Halbstarken einer gewissen Beliebtheit erfreut, müssen sich in Coolness messen. Gerade tun sie dies in der Kategorie Jugendsprache und halten eine kleine vorbereitete Rede. Kandidat Nummer eins spricht: »Wie mies tight ist es bei der Bundeswehr, Diggah! Brudi, ich schwöre. Gönn’ dir Verpflichtung und verteidige unsere freiheitlich demokratische Grundordnung mit der Waffe in der Hand, Diggah!« Kandidat Nummer zwei behauptet, dass es bei der Armee »urst fetzig« sei und betont, dass es dort auch »kesse Miezen« und »oberaffengeile Raketen« gäbe.

Die umstehenden Soldaten johlen begeistert und zollen der Darbietung Respekt. Görenfänger erläutert, dass man nach Öffnung der Schulen die Soldaten mit dem »größten Clutch« in die achten Klassen einschmuggeln möchte, damit sie dort das Meinungsbild über die Bundeswehr positiv beeinflussen. »Warum sollten amerikanische Rapper mit ihren unorganisierten Drive-byshootings attraktiver für die jungen Menschen sein als ein tödlicher Unfall beim Rumflachsen mit einem Maschinengewehr auf der Stube?«, fragt er.

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Aber auch an die ganz Kleinen denkt man bei KNiRpS: »Krippenkinder sind zwar kognitiv noch nicht in der Lage, die persönlichen Vorteile, die sich aus einem Heldentod für das Vaterland ergeben, zu erkennen, man kann sie aber schussfest machen.« Dazu planen die Spezialkräfte, an den Spielplätzen der Kitas vorbeizulaufen und von Zeit zu Zeit ein paar Schüsse abzufeuern. »Eine einfache Maßnahme, die keiner großartigen militärischen Vorbereitung bedarf. Das machen wir manchmal schon heute. Selbstverständlich mit Platzpatronen, die Sicherheit der Kinder steht bei uns an vorderster Stelle«, versichert der Hauptfeldwebel mit ernstem Blick.

Nach einem Wahlsieg der CDU rechnet man in der Einheit damit, dass man sofort loslegen kann. Sollte alles wie gewünscht funktionieren und die Einsätze erfolgreich sein, wird sich die Bundeswehr schon ein Jahr nach der merzschen Machtergreifung nicht mehr vor Rekruten retten können. Dann könnten endlich die strengen Nato-Zielvorgaben erfüllt werden, auf die besonders die US-Amerikaner dringen. Zwei Prozent des deutschen Heeres könnten dann aus minderjährigen Kindersoldaten bestehen.

Das sei ethisch natürlich allemal besser, als die Schwerverbrecher aus den Gefängnissen für das Militär anzuwerben, wie es Russland macht.

Natürlich seien darunter einige talentierte Autodidakten, denen das Töten an der Front nicht schwerfallen dürfte, aber es gehe eben nichts über eine gute deutsche Ausbildung und über ein Handwerk, das man von der Pike auf gelernt hat, sagt Görenfänger.

Der Soldat zeigt auf einen riesigen Stapel aus Paketen. »Entschuldigung, ich muss jetzt weiter die Anwerbungsgeschenke auspacken. Er nimmt die erste Playstation 5 aus ihrer Verpackung und lächelt selig.

ANDREAS KORISTKA

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