Die Glücksbärchis

Im niederbayerischen Bad Füssing brummt die Unterbringung von alternden Wildtieren. Auf einem ehemaligen Bundeswehrgelände hat der Münchner Verein »Gewerkschaft für Tiere« einen Gnadenhof für Bären errichtet. Hier kann Meister Petz bei Lachshäppchen und Honigwein seinen Lebensabend verbringen. Der Verein bemüht sich, auch die Bärin aufzunehmen, die vor einiger Zeit einen Jogger im italienischen Trentino tödlich angeknabbert hat. Der EULENSPIEGEL traf Tierpfleger Ted Steiff zum Interview.

KRIKI

Hallo, Herr Steiff!

Warum so förmlich? Sie können ruhig Teddy zu mir sagen.

Das überrascht mich jetzt ebenso wenig wie Ihr Knopf im Ohr.

Ach, über den bin ich lediglich mit meinem grummeligen Chef verbunden.

Wieso? Denkt er, Sie würden in fremden Revieren wildern oder als mein Gesprächspartner seiner Einrichtung einen Bärendienst erweisen?

Er ist aus eigener traumatischer Erfahrung eher etwas in Sorge, ein erfahrener Journalist wie Sie könnte mich am Nasenring durch die Manege führen.

Keine Bange, ich bin kein echter Journalist. Neben dem EULENSPIEGEL schreibe ich nur für die tatz. Ich glaube nicht, dass wir uns gegenseitig ins Gehege kommen.

Das würde ich Ihnen bei Winnie auch keinesfalls raten.

Ihr Boss heißt Winnie? Puh!

Ja, so knuffig wie dieser goldgelbe Disney-Zottel in seinem roten, viel zu kurzen Pullöverchen ist er allerdings nicht.

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Das wird die Bärin aus Italien wohl auch nicht sein, oder?

Dabei sollte freilich nicht unerwähnt bleiben, dass Gaia oder »JJ4«, wie sie im Behördentirolerisch heißt, aus prekären Verhältnissen stammt. Sie ist die Tochter zweier ehemaliger Zirkusbären aus Slowenien. Nach Meinung der einheimischen Norditaliener war sie nur darauf erpicht, in unsere Ökosysteme einzuwandern und in die Wälder zu kacken. Gaias älterer Problembruder Bruno, ein notorischer Ausreißer, geriet 2006 ins Visier der bayerischen Behörden und starb noch im gleichen Jahr bei einer Schießerei. Für die Bewältigung solch prägender Jungtiererlebnisse bedarf es neben einem dicken Fell natürlich auch einer adäquaten Traumatherapie. Die ist Gaia als Migrantenkind von den italienischen Entscheidungsträgern aber offenbar bis heute verwehrt geblieben.

Wäre es im Interesse der allgemeinen Sicherheit nicht ratsamer gewesen, die braune Bestie ebenfalls stante pede einfach abzuknallen?

Ganz instinktiv würde ich Ihnen da sogar zustimmen. Auf der anderen Seite nerven Jogger dann doch schon manchmal mit ihrer ostentativ zur Schau gestellten Fitness. Man sollte Bären nicht töten, nur, weil sie diesen Hass nicht so gut kanalisieren können wie wir Menschen.

Können Sie garantieren, dass es keinen Ausbruch gibt? Der Jurassic Park galt auch lange Zeit als sicher …

Das gesamte Areal unseres Tierasyls ist von einem Elektrozaun umsäumt. Bis der erste Bär spitzgekriegt hat, dass an den meisten Leitungen gar keine Spannung anliegt, dürften die Preise am Strommarkt weiter gefallen sein, so dass eine Versorgung mittels Spendeneinnahmen endlich wieder finanziert werden kann. Außerdem ernähren sich Bären überwiegend vegetarisch. Menschenfleisch gibt es nur zu besonderen Anlässen wie zum Beispiel an jedem Mittwoch. Da ist bekanntlich Bärgfest.

Sie wollen aber nicht behaupten, sämtliche Bären seien goldig und süß?

Was denken Sie von mir? Ich bin mitnichten betriebsblind und kann durchaus differenzieren. Immerhin war ich vor meinem Job als Tierpfleger beruflich lange Zeit woanders tätig.

Im Tedi-Markt?

Hä, wie kommen Sie denn auf den Unsinn? Ich bin in der Qualitätskontrolle bei Haribo herumgetapst. Im Gegensatz zu mir hatten unsere pelzigen Bewohner allesamt leider keine schönen Vorleben. Laima, ein Bärenmädchen aus Litauen, zum Beispiel musste ihr Dasein nahe einem Hotel samt Restaurant in einem nur wenige Quadratmeter großen Gitterkäfig auf kargem Betonboden fristen. Zur Belustigung der Gäste wurde sie mit Bier übergossen und mit in Schnaps getränkten Brötchen gefüttert. An anderen Tagen hat man sie aber nicht so gut behandelt und sogar gequält.

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Solche unmenschlichen Haltungsformen zu Entertainmentzwecken sind dank des Tierschutzgesetzes hierzulande glücklicherweise ja undenkbar.

Oh, da irren Sie aber gewaltig! Ich erinnere unter anderem an die bemitleidenswerte Kreatur, die ab dem Ende der 70er-Jahre gezwungen wurde, in der deutschen »Sesamstraße« den naiv-tumben, Würstchen mampfenden Sidekick von Manfred Krug und Lilo Pulver namens Samson zu mimen. Ganz zu schweigen von den Qualen, die das Berliner Club-Maskottchen Herthinho nach wie vor Saison für Saison im Olympiastadion erdulden muss.

Sie sind mir mit Ihren Bären vielleicht eine Marke. Lassen Sie uns von der Gegenwart einen Blick in die Zukunft Ihrer Rettungsstelle werfen. Was erträumen Sie sich persönlich von einem möglichen Einzug Gaias?

Dass uns mit ihr der große Wurf gelingt. Ich habe neulich Bilder von ihr gesehen und würde sie für eine wahnsinnig gute Mutter halten, deren einzige Schwäche ihr unbändiger Heißhunger auf Menschenfleisch ist.

Könnte es sein, dass Sie diesen Raubtieren etwas zu nahestehen und sie allzu sehr vermenschlichen? Ein wenig Abstand würde Ihrem Körper und Geist bestimmt gut tun – vor allem in Anbetracht der klauentiefen Kratzwunden in Ihrem Gesicht.

Ach, da bin ich von Laima neulich mal ein klein bisschen geprankt worden. Solche Streiche sind bei uns längst Ursus.

Auf Ihrem Gnadenhof steppt anscheinend der Bär.

Nein, das wäre Tierquälerei! Ob des gesetzten Alters unserer Brownies lassen wir es gemächlicher angehen und bieten ihnen jeden Sonntag entspannende Rommé-Nachmittage.

Wie geht denn das?

Ach, das klingt komplizierter, als es ist. Man muss nur … oh, entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber ich höre gerade über meinen Knopf im Ohr, wie mein Chef mich zusammenbrüllt.

Reden Sie etwa von dem schlechtgelaunten Braunbären, der da gerade durchs Fenster steigt?

Huch, Winnie hat das mit den Elektrozäunen überraschend schnell kapiert. Wegrennen ist jetzt leider keine Option mehr. Aber wenn wir uns still auf den Boden legen, haben wir eine gute Chance, dass er alsbald von uns ablässt.

Pst!

DANIEL SIBBE

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