NUHR einer traut sich

Der Abnutzungskrieg zwischen Böhmermann und Nuhr – wird er mit einem Diktatfrieden enden?

Böhmermann ist wie Putin, und zwar eins zu eins!« Wer so was sagt, der merkt womöglich nicht, dass er Väterchen Putin bitter Unrecht tut. Putin führt offensichtlich Krieg (er nennt ihn nur ein bisschen anders), mit all den Scheußlichkeiten, die seit der Schlacht im Teutoburger Wald (im Jahre 9 nach Christus) nicht fehlen dürfen. Er ist ein Schuft, aber verglichen mit Böhmermann ist er harmlos. Böhmermann kann zwar vermutlich nicht mal eine Knallerbse scharf machen. Aber er ist witzig (Witz geht Putin völlig ab, sonst wäre es nie zum Krieg gekommen.)! Er hinterlässt mit seinem »ZDF Magazin Royale« regelmäßig ein Schlachtfeld des Grauens und schwer »im Innersten« verwundete Gestalten.

GUIDO SIEBER

Zum Beispiel den guten, vor allem den ungeheuer fleißigen Dieter Nuhr, der immer so nett aus seiner Kindheit plaudert, in der es noch keine Transen und E-Ladesäulen gab (»also früher, bei uns zu Hause …«). Den hat der Jan Böhmermann auf die schäbigste Art lächerlich gemacht, die sich denken lässt – in dem er ihn parodierte, besser: indem er ihn parodieren ließ. Der feige Hund (bei Kriegsverbrechern dürfen wir sogar »feiges Schwein« sagen) hat eine Honorarkraft vorgeschickt. Was ist schon dabei, mag mancher sagen. Strauß wurde parodiert, Kohl, Merkel und bei jedem Familientreffen der Opa Heinz – Friede seiner Seele! –, wie er versuchte, sich trotz Tremor eine Zigarette anzuzünden.

Aber einen Humoristen zu parodieren, das ist etwas anderes! Das ist, wie Zaubertricks zu verraten oder Helene Fischer bei »Atemlos« das Playback auf doppeltes Tempo zu schrauben oder Otto Waalkes im Hospiz zu besuchen. Seit Heinz Erhardt und Dieter Hallervorden ist das Parodieren von Komikern bei Ehrverlust verboten, die Anwälte warten schon …

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Tatsächlich hat Jan Böhmermann bei Dieter Nuhr sämtliche Betriebsgeheimnisse verraten, mit denen der seine kleine Scherzartikelfabrik betreibt. Nicht das Gelaber im Humorreservoir alter weißer Männer – das beherrschen viele. Aber die Liebe zum Kapitalismus, die Verachtung von Unterprivilegierten und sogenannten Bildungsfernen, die Verdächtigung von Asylsuchenden, den Abscheu vor Ökos, linken Fundis, den fein gesetzten Antisemitismus – das alles hat »Nuhr im Ersten« ziemlich exklusiv (zumindest bei den »Öffentlichen«). Böhmermanns Parodie »Nuhr im Zweiten« war um so vieles besser als das Original, dass der gute Dieter seinen Laden eigentlich umgehend dicht machen könnte. Oder er sagt bei einer Schalte mit Caren Miosga in den »Tagesthemen«: »Ich habe mich eigentlich immer irgendwie gemocht, also früher, als ich noch Kind war, unter Helmut Kohl. Aber jetzt mag ich mich nicht mehr – danke, lieber Jan!«

Ist der Krieg damit entschieden? Müssen wir einen »Siegfrieden« des Aggressors ertragen? So weit kommt’s! Die hallervordschen Fußtruppen, Wortartisten des Frontstadthumors, rufen schon zum Widerstand: Einen Kollegen parodieren? Das ist pfui und noch mal pfui, wenn nicht sogar Missbrauch (Honorar)-Abhängiger!! Böhmermanns atemberaubende Frechheit ist damit auf der moralischen Ebene angekommen, besser gesagt: der unmoralischen. Wo einer unanständig ist, brauchen wir gar nicht weiterdiskutieren.

Angeblich »mit Spannung« wurde Nuhrs Reaktion in seiner nächsten Sendung erwartet. Würde er Böhmermann mit dem Paragraphen für üble Nachrede drohen? Oder würde er eine Riege schlechter Comedians aufbieten, die in der Art eines Soli-Konzerts für Dieter Nuhr mit dem Jan Schimpfe-Schimpfe machen? Oder beweint er sich selbst? Nichts davon – er ließ die Attacke ausfallen: »Wir beschäftigen uns mit den wirklichen Dingen der Woche – also nicht mit mir«, sagte er als ersten Satz der Sendung.

Zugleich war das auch schon die dollste Pointe des Abends! Sie löste einen Beifallswind aus wie auf einem SED-Parteitag, Kreischen aus Rentnerkehlen, Trampeln und Schlüpferwerfen (wie die Berliner Zeitung wusste, werden die Reaktionen des Publikums vorher geübt, aufgezeichnet und in die Sendung einmontiert).

Bei diesem Tumult war leicht zu überhören, dass »also nicht mit mir« überhaupt keine Pointe ist. So wie die Dieterschen Pointen oft keine Pointen sind, sondern staubige Sätze, bei denen der Künstler bedeutungsvoll und leicht von sich selbst belustigt ins Parkett lugt. Mit dieser Masche begeistert er seit Jahren die Massen. Sein Erstlingswerk in diesem artifiziellen Format war vor Jahren: »Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten« – ganz in der künstlerischen Tradition des zu Recht vergessenen, aber unvergessenen Mario Barth. Mit diesem Spruch wurde der Dieter berühmt und galt von Stund an als »sowas von frech«.

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Hinter Dieter, dem Opfer im Abnutzungskrieg, steht ein riesiges Heer wehrfähiger biodeutscher Männer und Frauen, und mit jeder Wahrheit, die er über Unisextoiletten, Genderwahnsinn, Mehrfachgeschlechter oder die »Öko-Diktatur« ausstößt, werden es mehr. Dazu müssen sie gar nicht »Nuhr im Ersten« gesehen haben, sie erzählen sich die Jokes bei ihren Abendspaziergängen um den Kirchturm herum weiter. Allein in der Hauptstadt, so schätzt die Berliner Zeitung, verehren ihn so viele Menschen, wie den Klima-Volkentscheid haben durchfallen lassen, also auch die, die nicht abgestimmt haben – die deutliche Mehrheit der Erwachsenen. Das kann man getrost auf die Städte hochrechnen, in denen noch keine Klima-Volksentscheide abgehalten wurden.

Dieter Nuhr ist der Lautsprecher für die Leute, denen hierzulande der Mund verboten wird und die keine Zeitung, keinen Sender und keine Staatsbeauftragte für Kultur auf ihrer Seite haben.

Bekanntlich darf man nämlich fast nichts mehr sagen, auch das nicht, was man früher – z.B. unter Adenauer oder noch früher – sagen durfte, ohne gleich ins KZ zu kommen. Und wenn man doch was sagt heutzutage – z.B. dass man an einer Wärmepumpe, im Unterschied zum Ofen, nicht seine Unterhosen trocknen kann –, ist man gleich ein Nazi! Nu(h)r einer traut sich.

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Über die Kriegsgründe zu spekulieren ist müßig (Futterneid, schlichter Vernichtungswille?). Vielleicht beneidet »der Böhmi« das Dieterle um die Liebe der Massen der Dieselfahrer, Kreuzfahrtreisenden und überkompensierenden Heterosexuellen? Vielleicht ist er dauerhaft sauer, dass sämtliche Witze über Greta Thunberg schon der Dieter gemacht hat. Nötig hat das der Böhmermann nicht. Wenn er nicht gerade einen schlechten Freitag hat – alte Witze über Glatzen, die zum Thema zu machen er sich von Jim Jeffries abgeschaut hat –, ist er unbestritten der Größte.

Jetzt müsste doch eigentlich »aus der Mitte der Gesellschaft« ein Manifest samt Erstunterzeichnern emporsteigen, das die verfeindeten Lager zu Verhandlungen, wenigstens zum Waffenstillstand auffordert und sich beim Kanzler bedankt, dass er in Konfliktlagen zögerlich agiert. Und vielleicht erlebt ja das geschätzte Publikum dann, wie der Jan und der Dieter im ZDF-Fernsehgarten mit der kieksenden Andrea Kiewel schunkeln – zu »So ein Tag, so wunderschön wie heute«.

MATHIAS WEDEL

Auslese