Halbwegs munter – oder tot

FERNSEHEN

Redakteur beim MoMa, dem Morgenmagazin von ARD und ZDF zu sein, bedeutet, hinter der Müllabfuhr zur Arbeit zu fahren. Fünf Uhr dreißig geht’s los, jeder, der da frisch und fröhlich ist, kann nur ein Heuchler sein. Die Moderatoren und Moderatorinnen sitzen glattgebügelt und kichernd im sterilen Studio und schlürfen aus ihren MoMa-Tassen – wahrscheinlich Stärkeres als Kaffee. Wie sonst ist dieses infantile Geplapper zu ertragen!

BARBARA HENNIGER

Sie moderieren frei, jedenfalls ist das der Anspruch, machen kecke Sprüche wie »Ja, guck mal, du hast ja ne Mütze auf dem Kopf« und stellen sich dumm. Wussten Sie eigentlich, dass der Pudel um den Arsch herum rasiert werden muss? Wussten wir nicht, aber nun kann der Tag beginnen. Ratgeberthemen, Wetter, Sport und ab und zu ein Promiinterview, mehr muss nicht sein. Zur vollen Stunde volle Nachrichten, und der Zuschauer kann beschwingt in die Selbstausbeutung starten. Auf den gedeckten Frühstückstisch wie bei »Volle Kanne«, wird genauso verzichtet wie auf den Studio-Köter. Dafür menschelt es wie wahnsinnig.

Wer das MoMa einschaltet, sucht entweder einen Beweis, dass er die Nacht überlebt hat oder dass es draußen noch Lebende gibt. Zum Beispiel den Außenreporter. Der steht wirklich live, 5:30 Uhr auf irgendeinem Feld im Norden und lässt sich frisch geernteten Rosenkohl zeigen. Oder er fragt einen stets greifbaren Spezialisten, wie man eine Fundkatze nach Würmern absucht. Oder einen Staudamm aus Weihnachtsbäumen baut. So ist es jedenfalls an guten Tagen, in Friedenszeiten. An schlechten, also seit fast einem Jahr, warten die Außenkräfte auf ihre Einsätze neben verkohlten Mülltonnen, in Flüchtlingsunterkünften und Suppenküchen: das ganze Elend vor der ersten Zigarette!

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Das fröhliche Guten-Morgen-Gezwitscher ist verflogen. Das neue depressive MoMa ist ein sicheres Indiz für den nahenden Untergang der Welt. »Guten Morgen, wir hoffen, Sie sind halbwegs munter und fit.« Oder schon tot? Falls ja, vergessen Sie die Tipps für das neue Jahr! Für alle anderen: Es muss gespart werden. Ein bisschen mehr Sport könnte gut sein, aber eigentlich lohnt sich die Anstrengung nicht. Abnehmen werden Sie auch so, dank der Butterpreise. Die Gartentante rät, einfach den Radieschenrest wieder in die Erde zu stecken und zu warten, ob was Neues daraus wächst. Vielleicht ein bisschen deutsche Zuversicht?

Sven Lorig und Anna Planken interviewen aus ihrer mittelständischen Wohnlandschaft heraus die Menschen an der Front, auf der Flucht, im Keller. Sie scheuen weder Soldatenwitwen noch Gefangene, sind on air, wenn Frontkämpfer ihre Schlafsäcke ausschütteln, Zähne putzen und Tee kochen. Alles mit den Handys gefilmt. »Geht’s Ihnen gut?« »Was kochen Sie heute?« Sie umklammern Kaffeetassen, kuscheln mit den Kissen, wünschen alles, alles Gute und geben weiter zur Ratgeberreporterin.

Die junge Kollegin steht in einem Badezimmer. Es ist noch immer dunkel in Deutschland. Im Bad haben es die Kinder der Badezimmerbesitzerin gern »muckelig warm«. Aber wie – bei diesen Heizkosten? Was rät der Energieexperte?

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So ist das MoMa! Es holt das Unfassbare in unsere Wohnzimmer, seit dreißig Jahren. Es müsste noch mehr Katastrophen geben, denn eigentlich fährt das MoMa im Ernstfall erst richtig hoch: Golfkrieg, Erdbeben, Flüchtlingskrise, Corona. Dann funkelt das Licht der Hoffnung noch vor Sonnenaufgang aus dem MoMa-Studio: dankbare Ukrainerinnen in Fürstenberg beim Basteln, Sternsinger mit nur einem Schutzpolizisten im Brennpunkt-Bezirk Berlin-Neukölln und natürlich der glückliche MoMa-Elefant im Berliner Zoo.

Und denkt dran, Leute, es gibt täglich eine Kaffeetasse zu gewinnen!

FELICE VON SENKBEIL

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