Der Schläfer erwacht

Unsere Besten

Er ist ein Mysterium. Die Geheimwaffe des ZDF. Er selbst würde sich als eine Mischung aus James Bond, Jim Knopf und John F. Kennedy beschreiben, wäre er nicht so bescheiden. Vereint sind diese Personen in einem Männlein mit geriffelter Stirn und fuchtelnden Fäustchen: Markus Josef Lanz ist so moderat, dass er gar nichts anderes werden konnte als Moderator.

Außer Spion oder Pfarrer vielleicht. Oder Herrenunterwäsche-Model. Aber dazu später mehr.

Dieser Mann verdient es, gesehen zu werden. Natürlich sieht man ihn, sogar drei mal pro Woche. Das ist öfter, als die meisten duschen. Ja, wir sehen ihn – aber erkennen wir ihn auch, in seinem Facettenreichtum, in seinen Gefühlen von eiskalt bis tief mitfühlend, seiner Lieblichkeit und seiner Penetranz?

Zeichnung Frank Hoppmann

Viel zu lange wurde er auf seine Schönheit reduziert, die strahlend weißen Schneidezähne, den üppigen Haaransatz, die gletscherblauen Augen. Nun ist Schluss damit, er will nicht länger nur gemocht werden: Markus Lanz mischt mit. Zunächst fiel seine ausdrucksstarke Körpersprache auf. Er trommelt neuerdings auf die Sessellehne, der Notizzettel zittert in seiner Hand – die Gäste zittern auch. Wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch lauert er auf seinen Einsatz. Er wirkt wie neugeboren: ein echter Journalist, ein Nachhaker, Festbeißer, Besserwisser, kurz: ein Kämpfer! Ein Polittalker wie aus dem Handbuch des ZDF ist uns erschienen. Neuerdings, seit dieses Land keine Unterhaltung mehr braucht, verbringt Lanz ganze Sendungen auf nur einer Ecke seines Studiosessels, immer zum Sprung bereit, zum Kampf für die Wahrheit. Der Rächer der braven Bürger, der fleißigen Steuerzahler und der friedlichen Maskenträger. Plötzlich ist er scharf und wach, als habe ihn die Talkfee geküsst.

Dabei fing er so harmlos an. »Kuschlig«, nannte ihn die Gala einst, und als einfühlsam beschrieb ihn seine Putzfrau. Wie ein Schläfer wartete Markus in der Gestalt eines zweiten Kai Pflaume lange auf seine große Chance. Seit mehreren Jahrzehnten – seine Wurzeln liegen im vorigen Jahrhundert – führte er die Moderatorenbeliebtheitsskala der Deutschen an. Aber er war dabei blass geblieben wie die Fritten bei McDonald’s, weich, konturlos, leicht fade im Abgang.

Begonnen hatte alles im Südtiroler Bruneck. Dort kam Markus Josef als Sohn einer Bauernfamilie zur Welt. Vermutlich im Stall, denn das elterliche Schlafzimmer ist in dieser Gegend den Kindern verboten. Zurückhaltung und Demut waren ihm angeboren. Sein Bruder Gotthard, der eher dem Vater ähnlich sah, überredete den hübschen Markus zu einer Bühnenshow. Als Synthiepop-Band »The W5« tingelten die Burschen von Dorfbums zu Dorfbums, und Markus empfand etwas, was ihn in seinem späteren Leben antreiben sollte: Geltungsdrang.

Als in den Neunzigern glatte, arische Typen mit schönen Zähnen, die Texte aufsagen konnten, fürs Privatfernsehen gesucht wurden, bekam Markus Lanz ein Bein in die Tür. Er passte zu RTL wie die Marlboro zum Cowboy. Jung, forsch, haltungslos und anpassungsfähig flutschte er durch den Boulevardjournalismus. Seine militärische Ausbildung beim italienischen Heer half ihm, die Demütigungen und Exzesse seiner Vorgesetzten zu ertragen. Er war vermutlich der einzige Feminist des Senders und wurde dafür mit der schönen Birgit Schrowange und dem Boulevardformat »Explosiv« belohnt. So hätte es bleiben können, aber Markus wollte mehr. Er wollte so sein wie der Kerner – schnell und schmierig. Der Kerner hatte diesen bübischen Witz, den Lanz mühsam trainieren musste. Eine Kochshow – seit je die Feuerprobe beim Öffentlich-Rechtlichen – sollte helfen beim Witzig-Werden: Kerners Kochshow. Diesen steinigen Weg war Lanz bereit zu gehen, obwohl ihn kochen wenig interessierte, weil ihn nämlich gar nichts interessierte. Aber so ist das Business. Er stellte sich manchmal extra blöd an mit der Kocherei, und versuchte es mit Selbstironie: »Huch, die Nudeln brennen mir an.« Dabei war ganz offensichtlich: Dem Lanz brennt nichts an. Er ist ein Perfektionist, ein Richtigmacher und Regelbefolger. Ideal für die gute Küche. Mit Bratensaucen und Himbeerstrudel legte er den Grundstein für seine atemberaubende Karriere.

Es folgten Memorial-Galas für verstorbene oder fast tote Prominente. Lanz der Pietätvolle, der den richtigen Ton traf, ohne gefühlig zu werden. Fast hätte er sich zum Bestatter umschulen lassen. Eine richtige Ausbildung hatte er ja noch nicht. Aber da regte sich was in ihm. Er hatte ja noch nie den Südpol bereist, stellte er fest. Er ließ die Birgit sitzen und zog mit ein paar Schlittenhunden und Joey Kelly los. Eine Grenzerfahrung, von da an traute sich der Lanz einiges zu.

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Sogar »Wetten, dass..?«. Und das war sein Untergang. Die Sendung riss er gleich mit. Er war weder lustig noch spontan. Die Versagensangst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Diese blöden Wetten! Menschen, die Hundefürze erschnüffeln können und/oder mit dem Mund Fliegen fangen. Eigentlich hasste er die Show und das merkten die Deutschen – sie waren in ihren tiefsten Gefühlen verletzt.

Und weiter ging es abwärts, es folgte die Talkshow »Markus Lanz«. Seine eigene Sendung, so aalglatt wie er. Woche für Woche versuchte er, Schauspielern, Models, Hundetrainern, Bienenzüchtern, Paleoveganern, Wunderheilern oder Grundschullehrerinnen etwas »Spannendes« zu entlocken. »Spannend«, das ist seine journalistische Kategorie.

Er sprach viel von sich, fand alles »mega interessant«, »extrem faszinierend« und »unglaublich berührend«. Aber was in Lanz vorging, wollten die Leute nicht wissen. Jeder, der ein Buch über den Darm, die Tundra oder Häkeltechniken vorweisen konnte, bekam mehr Aufmerksamkeit als er.

Wenn nicht durch eine glückliche Fügung das Virus gekommen wäre, Lanz wäre verhungert auf seinem Stühlchen. Oder eingeschlafen. Doch nun ging’s um was. Experten gingen einander an die Kehlen, die größten Schwadroneure des Landes, Ramelow und Söder, liefen bei Lanz zur Höchstform auf. Und der brillierte plötzlich mit fleißig angelesenem Virologen-Halbwissen. Er konfrontierte seine Gäste, warf mit kühnen Thesen um sich, suchte Erklärungen, widersprach, wurde zuweilen sogar pampig (»Wir lassen jetzt mal die Stehsätze weg, in dieser Sendung«).

Mittlerweile ist er mutig geworden. Er unterbricht so dreist, dass eine Virologin schon aufstehen und gehen wollte. Neulich nahm er sich die Göring-Eckhardt zur Brust. Ob sie es auf seine Freiheitsrechte abgesehen habe, mit ihrem Ökoquatsch, wollte er wissen.

Markus Lanz ist aufgewacht und kann sich endlich so richtig wichtig fühlen. Bleibt für ihn zu hoffen, dass diese Pandemie niemals endet.

FELICE VON SENKBEIL

Im EULENSPIEGEL:

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