Kinskischrauben und schonungslose Authentizität

Von GREGOR OLM

Auf der Ü70-Party im Gemeindezentrum war Stimmung wie im Zugabenteil eines Slayer-Konzerts. Viele, an vorderster Front die Diabetiker, schlabberten das Kirschwasser aus den Zuckerrandgläsern, als gäb’s kein Morgen – und tatsächlich sollten nach dieser ekstatischen Disco-Nacht auch einige bis zum Eintreffen des Bestatters im Bett verbleiben. Heini (75) und seine Gesa (70) schenkten mir in einer der Tanzpausen Schampus ein. »Wart ihr das also mit dem Kupferdiebstahl neulich an den Bahnanlagen, oder woher der neue Wohlstand?«, fragte ich. Heini war sichtlich geschmeichelt, weil ich ihm in seinem Alter noch kriminelle Machenschaften zutraute. »Mitnichten, wir sind jetzt aufsteigende Sterne im Filmgeschäft!«

»Quatsch nicht, Prahlheini!«, wies Gesa ihn zurecht. »Wir arbeiten neuerdings als Statisten. Über die Agentur ›Dutzendgesichter‹, die vermitteln vor allem an ›Tatort‹-Produktionen. Zu zweit läppert es sich.«

Zeichnung Frank Bahr

»Edelkomparsen!«, stellte Heini fest. »Letztens haben wir in einem ›Tatort‹ mitgespielt, ich sag dir, ›Rambo IV‹ ist ›Derrick‹ dagegen. Til Schweiger zerdeppert auf Neuwerk mit einer Panzerfaust den Ringdeich, um eine Kaugummiautomatenknackerbande in der hereinbrechenden Flut zu ertränken. Leider ist dann aber gerade Ebbe. Gesa und ich sind im Hintergrund als Liebe machendes FKK-Pärchen ganze vier Sekunden im Bild! Ich lasse demnächst Autogrammkarten von uns drucken.«

»Till wer?« Ich staunte. »Als ich das letzte Mal einen ›Tatort‹ gesehen habe, lief ›Klimbim‹ in Erstausstrahlung. Aber Geld bräuchte ich auch. Meine 670 Euro Rente reichen immer nur für ›Ja!‹-Produkte und manchmal das ›Verwöhnangebot‹ in Erichs Eros-Klause. Fünf Minuten in einer der klebrigen Filmkabinen und danach ein Pfefferminzlikör zum Runterkommen.« »Es sind zehn Minuten!«, brüllte Erich vom Nebentisch herüber.


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