Die marktkonforme Pandemie

Von GREGOR FÜLLER

»Hey, nicht so stürmisch, junge Frau, Sie sehen doch, dass der Laden voll ist. Wenn einer rauskommt, dürfen Sie rein. Bitte warten Sie hier!« Der Sicherheitsmitarbeiter deutete neben die Eingangstür. Reflexhaft stellte sich Angela Merkel an die angezeigte Stelle und ärgerte sich sofort über ihren hündischen Gehorsam.

Sie stellte sich vor, wie sie ihre selbstgehäkelte Atemschutzmaske abnahm, und der Sicherheitstyp blass vor Schreck wurde, als er sie erkannte; und wie sie dann ihre in zwei, vier und sechs Metern Abstand stehenden Personenschützer anwies, diesen erbärmlichen Wurm in den Kofferraum der Kanzlerlimousine und nach Guantanamo zu verfrachten. Ja, sie hätte die Macht, diesen aufgeplusterten Supermarkt-Sheriff zu vernichten. Aber bei genauerer Betrachtung war er recht süß. Sie könnte ihn auch in ihr Team der Personenschützer holen. Er müsste immer vor ihr gehen, damit sie ihm auf den Hintern schauen könnte. Er wäre sicher sehr, sehr dankbar für diese berufliche Chance und würde ihr nach einem langen Tag im Kanzleramt seine Dankbarkeit zeigen, indem er … »So, jetzt.« »Was ist los?« Verwirrt wanderte Merkels Blick nach oben in Richtung Gesicht des Security-Mannes. »Ein Kunde hat den Laden verlassen, Sie können jetzt.«

Zeichnung: Frank Bahr

Schnell hatte sie sich wieder im Griff. »Die drei gehören zu mir«, sagte sie und betrat den Supermarkt. »Nee, nee, immer nur einzeln«, hörte Merkel den Mann sagen. Dann folgte das Geräusch eines Gesichts, das quer über eine Scheibe gezogen wird. Kurz darauf standen ihre Beschützer wieder im Zweimeterabstand hinter ihr.

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