Der Kindskopf-Kanzler
Baaaastiiii!«, brüllt Papa Kurz die Treppe
hinauf, »du kommst zu spät zur Westbalkan-Konferenz.« »Lass ihn doch, er ist
noch ein Kind«, gibt Mama Kurz zu bedenken. Die Kinderzimmertür mit dem
Spongebob-Starschnitt schlägt auf, heraus tritt Österreichs Außenminister, unser
Mann [sic!] der Stunde, auf den es jetzt ankommt, von dem Europas Schicksal
abhängt. Basti muss sich nicht umziehen, er hat im Anzug geschlafen. Im
Badezimmer rubbelt er mit dem Frotteehandtuch den Dreitageflaum aus dem Gesicht
und gurgelt einen Schluck Clearasil. Er presst eine lange Wurst aus der Geltube
und macht die Haare schön. Die Schmalztolle glänzt, als der junge Minister den
Flur entlang eilt und sich von der Mutter unterwegs ein Pausenbrot und einen
Schmatz abholt. Der Vater wirft ihm einen tadelnden Blick hinterher. »Musst du
es immer auf den letzten Drücker ankommen lassen?! Was soll bloß aus dir
werden?!« Ja, was wohl? Diese Frage elektrisiert nicht nur die Österreicher. Von
seinem Elternhaus in Wien-Meidling bis zum Bundesministerium braucht man zu Fuß
gute vierzig Minuten, mit dem Skateboard schafft man es in der Hälfte der Zeit.
Der Basti nimmt das Mofa, das geht noch schneller.
Natürlich ist Österreichs politischer Wunderknabe rechtzeitig am Tagungsort
angekommen und hat obendrein im Alleingang die Flüchtlingskrise gelöst.
Ostgrenze dicht machen, und fertig war die Laube. So einfach geht das.
Spätestens seit der Westbalkan-Konferenz spielt Basti in der Champions League
der Weltpolitik und wird völlig zu Recht als der weiße David Alaba gefeiert.
Wer, wenn nicht er, könnte in Europa wieder Recht und Ordnung herstellen und
das Merkel-Chaos überwinden? Es ist lange her, dass in Deutschland so große
Hoffnungen in einen österreichischen Politiker gesetzt wurden.
»Der junge Metternich« wurde er von der FAZ genannt.
Dabei kann es der Polit-Pimpf nicht leiden, wenn man ihn auf sein junges Alter
reduziert. Er bezeichnet sich daher lieber als »den alten Tutanchamun«,
schließlich war der Pharao, als er den Thron bestieg, erst acht und damit noch ein
paar Monate jünger als er. »Das bewast doch, dass Alter und Erfahrung in der
Politik kane Rolle spuin«, spricht Basti. »Hauptsach, du kriegst am End dane
schaß Pyramiden.«
Österreichs Kindsaußenminister kommt das große Verdienst zu, die Asylpolitik
Europas wieder versachlicht zu haben. Dabei half ihm seine unbestechliche
Logik, die er als Passivmitglied des Wiener Kreisels praktisch mit der
Muttermilch eingetrichtert bekam. Seine Matura liegt zwar schon etliche Wochen
zurück, den Zweisatz beherrscht er aber immer noch aus dem Effeff. Im Schweizer
Blick rechnete er vor: »Mit Geld, das es braucht,
um einen Flüchtling in Europa zu versorgen, kann man im Libanon zwanzig
Menschen pro Tag helfen.« Das mag eine saudumme Milchbubirechnung sein. Aber
wahr ist sie trotzdem. Und vor allem lässt sie sich beliebig und logisch
fortsetzen: Mit Geld, das es braucht, um zwanzig Flüchtlinge im Libanon zu
versorgen, kann man bei Obi zweihundert Meter Stacheldrahtzaun kaufen.
Seine nüchterne Weltsicht kommt nicht von ungefähr. Schon als Jugendlicher
musste er durch die harte Schule des Lebens gehen. 1998, Basti war da gerade
zwölf Jahre alt, wird der beliebte Wiener Volksmusiker Hans »Falco« Hölzel bei
einem Verkehrsunfall im Ausland (!) getötet. Nur zwei Jahre später beendet
Volksfußballer Toni Polster seine Profikarriere im Ausland (!!). Und 2008 verunglückt
zu allem Übel auch noch Jörg Haider sturzbesoffen und mit Karacho auf dem Loiblpass
– in einem ausländischen (!!!) Wagen. Diese drei Tragödien haben die
Alpenrepublik mehr erschüttert als der Freitod ihres Führers aus Braunau
(ebenfalls im Ausland). Jedes Vorbildes und jeder Perspektive beraubt, gehörte
Basti zu Österreichs verlorener Generation. Viele aus seinem Jahrgang sind in
den Libanon ausgewandert, doch er ist geblieben.
Aufgewachsen ist der Basti in typisch österreichischen Verhältnissen. Sein
Vater lehrte Allgemeine Relativitätstherapie am Wiener Institut für Penisneidforschung,
seine Mutter übte einen Pflegeberuf aus und pflegte vor allem ihre eigenen Neurosen.
Sieben Geschwister hatte Basti. Von Schwester Nummer acht erfuhr er erst aus
der Zeitung, obwohl sie die ganze Zeit im selben Haus gelebt hatten und nur
drei Stockwerke und eine Stahltür voneinander getrennt waren. Seine Eltern
hielten Basti für einen zweiten Mozart. Sie waren sogar fest davon überzeugt, dass
er über ein absolutes Gehör verfügt, bis eine ärztliche Untersuchung ergab,
dass es sich nur um Segelohren handelte. Trotzdem brachten die Eltern von ihren
Afrikareisen (Ausland) immer Bongos mit. Dabei hätte der Junge viel lieber
Zither gespielt.
Direkt nach der Erstkommunion trat Basti der Jugendorganisation der
Österreichischen Volkspartei (ÖVP) bei, zu deren Klassensprecher er später
gewählt wurde. Von Guido Westerwelle und seinem anderen großen politischen
Vorbild hatte er sich abgeschaut, wie man Wahlkämpfe inszeniert. 2010 fuhr er
im »Geilomobil« auf den Heldenplatz, wo seine Ankunft von Zehntausenden Wienern
bereits erwartet und euphorisch bejubelt wurde. Von seinem damaligen Motto »Schwarz
ist geil« hat er sich inzwischen distanziert.
Die Botschaft könnte von der bedrohten weißen Rasse heute leicht missverstanden
werden. Sein Meisterstück vollbrachte Basti mit der Einführung der Obergrenze.
Die Balkanroute ist seither dicht, der Kontinent wieder »safe«. Nach der Abwehr
der Türkenbelagerung hat sich Wien, diese unterschätzte Heimat der Würstchen,
zum wiederholten Mal als Bollwerk des Abendlandes erwiesen. Österreich ist
endlich wieder wer. Basti hat einen schlafenden Zwerg geweckt.
Er ist der Kindersoldat im Kampf gegen die Islamisierung. Aber würde er an der
Grenze notfalls auch den Schießbefehl erteilen? »A geh«, lacht Basti, seine
Kinderaugen glänzen, »bloß ka Angst. Wir schießen nur mit Mozartkugeln.« Was
wird also noch aus ihm werden? Minister für Integration, Europa und Äußeres ist
er schon. Die übrigen Ministerien, wie Inneres, Globales, Religion, Brauchtum,
Familie, Kellerwesen, Alpinismus und Schnitzel, wird er ganz gewiss auch bald
übernehmen. Und natürlich zweifelt weder in Österreich noch Deutschland
irgendjemand daran, dass unser Basti über kurz oder lang Kindskanzler wird. Die
Frage ist nur, in welchem der beiden Länder zuerst.
Florian Kech