IM OSTEN TOTE HOSE
Kaum ist der erste Spross auf dem Laufrad, wird eine Frau in Berlin-Mitte, auch wenn sie offensichtlich nicht mehr sehr gebärfreudig wirkt, gefragt, ob denn ein Geschwisterchen geplant ist. Das ist doch das Schönste, gleich zwei oder drei, die gemeinsam in der smart geschnittenen Eigentumswohnung vorm iPad sitzen und den Rotz haben. Das ist auch ökologisch sinnvoll. Die unverrottbaren Matschhosen und das ganze teure Plastik-Equipment kann ein paar Runden mehr drehen, bevor es in Afrika auf der Müllkippe verbrannt wird. Auch die Babysitterin lohnt sich bei einem Drei-Für-Eins-Deal. Und auch später zahlt sich das aus, behaupten Mehrfachgebärende; dann spielen die so süß zusammen und teilen sich die erste Freundin. Und Campingurlaub im Caravan ist viel nachhaltiger als Flugreisen. Aber was es wirklich heißt, mehr zu liefern, als die Statistik vorgibt, weiß man erst, wenn das Zweite am Busen hängt.
Außer dem Geschwistervorteil bei der Kita und Grundschulplatzvergabe gibt es nichts für den Mehraufwand. Ab drei Kindern wird man für verrückt erklärt, wenn man keinen religiösen Grund oder blaues Blut vorweisen kann (beim Adel ist das anders, der kämpft ums Überleben). Alle normalen Leute, die auch keine genetischen Specials haben, wie zusammengewachsene Zehen oder zwei verschiedene Augenfarben, sollten doch nach zwei Kindern den Sack zumachen. Eigentlich reicht auch eins oder zwei Katzen.
Mama hat nur zwei Arme, wie soll sie drei Kinder schleppen und den Einkauf, fragte mein erstgeborener Sohn mitleidig, als ich der Familie den Nachwuchs ankündigte. Ich sagte, da wird schon jemand helfen. Der Staat vielleicht. In der DDR galt man ab drei Kindern in der Familie, egal wie viele Väter beteiligt waren, als kinderreich. Reich! Man musste nicht fürs Schulessen zahlen, nicht fürs Ferienlager oder die U-Bahn. Für die Finanzierung von Winterschuhen oder Weihnachtsgeschenken sammelte die Patenbrigade Altstoffe, und wenn es zu viel wurde, kamen die Kleinen drei Wochen lang auf Kur. Mütter wurden behandelt wie Bienenköniginnen, ohne die der Staat bekanntlich ausstirbt. Also dann noch ein Geschwisterchen, wenn sich das alle so sehr wünschen …
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Im Osten, besonders in Sachsen, kamen im letzten Jahr im Schnitt noch weniger Kinder zur Welt als im Rest der Republik. Sogar die wenigen Ausländer haben dort nicht richtig Lust auf Großfamilie. Am Platz liegt es nicht, am Wetter wahrscheinlichen auch nicht, vielleicht am fetten Essen. Experten sagen, es seien die Krisen und die Unsicherheit. Aber das ist Quatsch. Kinder kommen besonders gern in schlechten Zeiten zur Welt, um die Art zu erhalten. Vielleicht macht Sex auch mehr Spaß, wenn es draußen ungemütlich ist. Das ist zumindest bei Mäusen so. Sachsen verweigern den Nachwuchs, auch bei Brückeneinstürzen und Stromausfällen lassen sie sich nicht zu unüberlegten Zeugungen hinreißen.
Dabei bietet der Osten mehr für Familien als Berlin-Mitte. Es gibt genug Kitaplätze, es gibt Wohnungen mit mehreren Zimmern, es gibt Freizeitangebote für Jugendliche, zum Beispiel die Simson-Gang. Kinder werden hier beim Fleischer mit Wienern beschenkt und sind willkommen bei jedem AfD-Straßenfest. Die Stille, die weite Landschaft und die bunte Vereinskultur – da muss kein Kind mit den Crackjunkies den Buddelkasten teilen.
Besonders im Osten werden die Nachkommen gebraucht. Wer soll denn in zwanzig Jahren das Kollektivtrauma der Diktatur repräsentieren, das ist nämlich generationsübergreifend. Die ungeborenen Ostdeutschen müssen die Werte, die Mundart und die Handwerkskunst der Heimat weitertragen – und den Opa auf die Toilette im Pflegeheim. Wer soll das machen, wenn jetzt schon 26,6 Prozent der Sachsen über 65 sind?
Die ostdeutsche Frau hat nämlich Besseres vor. Die studiert in Heidelberg, geht für Jahre nach Barcelona, um Schmuck zu verkaufen oder Pilates-Lehrerin zu werden, und kehrt erst in die sächsische Heimat zurück, wenn die Samen der Männer dort vom Playstation-Zocken und Redbull-Cola-Trinken verklumpt sind.
Dann ist das Thema erledigt und man kann in Ruhe ein Haus wärmeeffizient sanieren oder einen Verein gründen. Irgendwann, wenn der Sachse ausgestorben ist, siedeln sich vielleicht wieder Familien in den hübschgemachten Dörfern an. Woher die kommen, ob aus Berlin-Mitte oder Bangladesch, ist doch egal.
FELICE VON SENKBEIL
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