Kiffer pflastern seinen Weg

Es ist 19:59 Uhr an einem angenehm milden Freitagabend. In der Fußgängerzone von Regensburg steht ein Herr und nestelt auffällig unauffällig mit einer kleinen Gerätschaft herum. Er ist barfuß, trägt eine weitgeschnittene Pluderhose mit Elefantenprints und ein Batikhemd. Seine Haare sind zu Dreadlockwürsten verfilzt. Als er sich schließlich etwas an den Mund führt und inhaliert, steht er in einem Blitzlichtgewitter.

Vor dem Mann türmt sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf, der die Szene eingehend mit seinem Smartphone fotografiert. »Hier spricht der Kifferanzeigenhauptmeister Söder«, schreit Söder, »lassen Sie sofort die Haschisch-Pfeife fallen. Ihr Vergehen wird umgehend an die zuständigen Behörden weitergeleitet.«

Guido Sieber


Der Dreadlockmann ist verdutzt. Erstens sei das keine Haschischpfeife, sondern sein Asthmaspray, und zweitens sei der Genuss und Besitz von Cannabis doch mittlerweile legal. »Aber in Fußgängerzonen eben erst ab 20 Uhr«, korrigiert ihn Söder schroff und wedelt mit dem Gesetzestext. Seine anderen Schutzbehauptungen könne er der Polizei erzählen, die er, Kifferanzeigenhauptmeister Söder, soeben gerufen habe.

Die Beamten stöhnen, als sie nach wenigen Minuten eintreffen: »Herr Söder, das ist heute das 32. Mal, dass Sie uns rufen …« – »Machen Sie Ihren Job wie vernünftige bayerische Polizisten! Führen Sie diesen Kriminellen ab und suchen Sie auf der Wache einen Vorwand, um ihn zusammenzuschlagen!«, entgegnet ihm der Ministerpräsident kühl. Missmutig nehmen die Polizisten die Daten des Asthmatikers auf.

Eigentlich wollte Söder das neue Cannabis-Gesetz der Bundesregierung im Bundesrat verhindern. Nachdem dies nicht funktioniert hat, hat er sich vorgenommen, die neuen Verordnungen »extremst restriktiv« durchzusetzen. Dafür hat er sein altes Damenfahrrad wieder verkehrstüchtig gemacht. Er hat eine Dashcam am Lenker platziert und ein Schild mit der Aufschrift »Södizei« befestigt.

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Um seine natürliche Autorität zu unterstreichen, trägt er einen Fahrradhelm und orange Warnschutzbekleidung. Derart ausgestattet macht Söder sich jeden Tag auf, um Cannabis-Konsumenten bei den zuständigen Behörden zu denunzieren. Seit Inkrafttreten des Gesetzes hat der Kifferanzeigenhauptmeister bereits 1024 Anzeigen bei der Polizei gestellt. Söders Ziel ist es, in jeder bayerischen Stadt mindestens einen Kiffer anzuzeigen und für diese Arbeit einen Eintrag im »Guinness-Buch der Rekorde« zu bekommen.

Doch nicht jeder Überführte zeigt sich kooperativ. Ein paar Ecken von der Fußgängerzone entfernt kann der Kifferanzeigenhauptmeister den Raucher eines Joints stellen. Schnell holt Söder sein Maßband heraus, um den Abstand des Rauchers bis zur nächsten Schule zu messen. Dieser muss laut Gesetz mindestens 100 Meter in der Luftlinie betragen, was in der verwinkelten Regensburger Altstadt mit ihren schmalen Gässchen nur schwer nachzumessen ist.

Söder bittet den Delinquenten deshalb, sich nicht vom Ort zu rühren. Nachdem Söder ein paar Häuser mit einem Hilti-Bohrhammer durchbohrt und sein Maßband bis zur Außenwand der nächsten Schule gespannt hat, kommt er nach einigen Stunden zurück und sagt begeistert: »Wie ich es mir dachte, es sind genau 99,72 Meter. Der Mindestabstand ist um exakt 28 Zentimeter unterschritten.« Doch der überführte Gesetzesbrecher hat längst den Ort des Geschehens verlassen.

Der Kifferanzeigenhauptmeister ruft wiederum die Polizei und erstattet Anzeige gegen Unbekannt. Auf ein Zellstofftaschentuch malt er ein vorläufiges Phantombild, auf dem man erkennen kann, dass das Gesicht des Täters aus zwei Punkten, einem Komma und einem Strich besteht. »Fertig ist das Kiffergesicht!«, sagt Kifferanzeigenhauptmeister Söder und legt zufrieden den Stift aus der Hand.

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Er hat ausgerechnet, dass sein ehrenamtliches Engagement für den Freistaat äußerst lukrativ ist. Zwar koste die von ihm induzierte Polizeiarbeit zunächst ein stattliches Sümmchen, allerdings werden die Kosten durch den erwarteten Prohibitionstourismus wieder wettgemacht. Söder setzt darauf, dass die Übernachtungszahlen im Freistaat explodieren werden, weil man nur noch hier Innenstädte erleben könne, in denen Cannabis-Raucher verfolgt werden. »Und zwar von mir!«, freut er sich.

Das neue Cannabisgesetz lässt Söder viel Spielraum. Darin steht, dass zwar der Besitz von drei blühenden Cannabispflanzen legal ist, aber nur der Besitz von 50 Gramm Marihuana. Eine Cannabispflanze kann aber im Extremfall 500 Gramm Ernte einbringen. Deshalb klingelt der Kifferanzeigenhauptmeister an Wohnungstüren, um sich Hanfpflanzen zeigen zu lassen und nachzuwiegen. »Wer überhaupt keine Pflanze vorzeigen möchte und behauptet, nie angebaut zu haben, macht sich natürlich besonders verdächtig«, sagt Söder grinsend. Bei solchen Leuten setzt er sich gern ein paar Tage vor die Wohnung und wartet ab, was passiert.

Meistens fällt ihm dann irgendein anderes Vergehen auf. »Manche Menschen legen entgegen der Brandschutzverordnung Fußmatten vor die Tür ins Treppenhaus, halten einen Amur -tiger ohne die nötigen Papiere als Haustier oder erscheinen nicht zum Wahltag, um die CSU zu wählen … Ach, das ist gar nicht verboten? Naja, jetzt ist die Anzeige raus.«

Aber manchmal findet Söder auf diese Weise auch echte Straftäter, die zum Beispiel im Freistaat gendern. Am meisten Spaß bereiten ihm jedoch die Kontrollen in den neu gegründeten Cannabisvereinen. Denn das neue Gesetz besagt, dass dort zwar 50 Gramm Gras erworben werden dürfen, allerdings darf man nur 25 Gramm auf der Straße mit sich führen. »Die meisten Kiffer sind natürlich zu faul, um zweimal nach Hause zu laufen. Sie sind ein gefundenes Fressen für mich«, freut sich Meister Petze.

Leider trifft Söders Enthusiasmus nicht überall auf Gegenliebe. In den sozialen Netzwerken mehren sich die Kommentare mit Todesdrohungen gegen den Kifferanzeigenhauptmeister. Ausgeführt werden sie anscheinend nur nicht wegen der Antriebslosigkeit der Cannabiskonsumenten. »Solange mich keiner erschlägt, mache ich weiter«, freut sich Söder, klingelt ein paar Mal mit seiner Damenfahrradklingel und entschwindet mit einem lauten »Tatütata, der Kifferanzeigenhauptmeister ist da!« in die Regensburger Nacht.

ANDREAS KORISTKA

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