Bidens Bunker
Von FLORIAN KECH
Durch ein Wohngebiet im Kleinstädtchen Wilmington stolpert ein Mann mit weißen Haaren und breitem Grinsen. Er trägt eine weinrote Krawatte und ein dunkelblaues Jackett mit Stars-and-Stripes-Reversnadel, dazu eine Pyjamahose. Der Greis steigt in einen Vorgarten und ruft nach Barack Obama. Dem Hauseigentümer erzählt er, dass er seit 180 Tagen in einem Keller gefangen gehalten würde. Seine Geschichte erinnert an die Fälle Kampusch und Fritzl, nur dass sich das Grauen diesmal nicht in Österreich, sondern mitten in der zivilisierten Welt abspielt. Der Hausherr reagiert auf den verwirrten Gast mit typisch amerikanischer Empathie und rät ihm, auf der Stelle sein Grundstück zu verlassen, weil er ihm ansonsten mit seinem vollautomatischen Sturmgewehr das Gehirn wegpuste.
Am nächsten Morgen berichtet die Wilmington Post als Erste über die Weltsensation. Joe Biden, der demokratische Präsidentschaftskandidat, hat sich zum ersten Mal seit März im Freien gezeigt, bevor ihn sein Wahlkampfteam wieder einfing. Das Ausbüxen hat bei Biden Spuren hinterlassen. Seine Augen tränen, von den Wangen löst sich Haut. »Wir müssen den Kandidaten ganz behutsam wieder ans Sonnenlicht gewöhnen«, sagt einer aus dem Betreuerstab, der sich in seinem früheren Leben als Stationsleiter einer Washingtoner Seniorenresidenz einen Namen machte.
Biden, der ungefähr doppelt so alt ist wie Obama bei dessen Amtsantritt, führt einen Wahlkampf unter Tage. Seine Botschaften sendet er …
Weiter geht es im EULENSPIEGEL 09/2020.
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