Der ganzjährige Faschingsprinz

Unsere Besten

von GREGOR FÜLLER

Der bayerische Ministerpräsident ließ eine Kommunalwahl abhalten, es war also nur ein mäßig wichtiger Tag für ihn. Wen sein Volk wählen würde, wusste er noch nicht, auch wenn er so eine Ahnung hatte, dass es wie immer seine Partei sein würde. Die CSU könne einen Besenstiel als Kandidaten aufstellen, so ein altes Sprichwort, gewählt würde die Partei trotzdem. Oder vielleicht sogar gerade deswegen. Im Grunde war es Markus Söder aber gleich, wie die Ergebnisse ausfallen würden. Bei einem guten Ergebnis für die CSU wäre es sein Verdienst oder besser – die Leute mochten nun mal Teamarbeit – das Verdienst seiner CSU. Bei einem schlechten Ergebnis wäre das Ganze nur den kommunalen Gegebenheiten vor Ort geschuldet, unabhängig von der Politik seiner Landesregierung. Im Zweifel war einfach das Corona-Virus schuld, das die CSU-Wähler von den Urnen abgehalten oder, falls es wirklich so schlimm kommen sollte, in die Urnen hineingebracht hatte.

Zeichnung Frank Hoppmann

Also Business as usual, dachte Söder. Doch was zum Teufel sollte er anziehen? Er stand vor seinem riesigen, kitschig bemalten Bauernschrank, den er vor vielen Jahren von einem guten Freund bekommen hatte, und suchte nach passender Kleidung. Da hing sein Shrek-Kostüm, das er einmal an Fasching getragen hatte, dort sein Homer-Simpson-Kostüm, hier seine Bierzelttracht. Mit einem Schmunzeln, das seine kleinen Äuglein komplett hinter Falten verschwinden ließ, dachte er an vergangene Bierzelt -erfolge, an Szenen, in denen er, der Abstinenzler und passionierte Wassertrinker, unter Johlen des vor ihm versammelten Wahlpöbels seine Maß Bier in die Höhe gereckt hatte. Er mochte nicht, dass Alkohol die Macht besaß, ihn unkalkulierte Äußerungen tätigen zu lassen. Macht war etwas, was ausschließlich er selbst haben durfte. Also reckte er die Maß immer wieder in die Höhe – die Leute mochten nun mal Säufer–, ließ den Inhalt aber verdunsten oder unauffällig in der Kulisse verschwinden. Edmund Stoiber war damals verlacht worden, als herauskam, dass er sich alkoholfreies Bier einschenken ließ. Er, Söder, dagegen sah einfach schon immer aus wie ein Alkoholiker, und nur das war es, was für die Leute zählte.

Er arbeitete sich weiter durch den Schrank. Da war sein Journalisten-Kostüm, das er als Redakteur beim Bayerischen Rundfunk getragen hatte. Auch jetzt zog er es regelmäßig an, wenn er Videos für Facebook aufnahm. Facebook war schließlich auch Journalismus, nämlich die Möglichkeit, an der Wahrheit mitzuschreiben, die Wahrheit im eigenen Sinne zu gestalten. Im selben Licht sah er seine zahlreichen Anrufe bei Fernsehsendern: Mit Einflussnahme hatte das nie etwas zu tun gehabt, es handelte sich um die konstruktive Kritik eines Kollegen. Dass man ihn in Fernsehserien mitspielen ließ, war das Mindeste, das er dafür verlangen konnte. Dass er dort ausführlich seine gute Regierungsarbeit darlegte, anstatt übers Wetter zu plaudern, war nur konsequent: Die Leute mochten nun mal erfolgreiche Politiker.

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Er kam zu dem Anzug, den er halb scherzhaft sein SS-Kostüm nannte. Es war ein Kostüm, das er nur noch selten trug, seit er Ministerpräsident geworden war. Den Ausschluss Griechenlands aus der EU hatte er darin verlangt, ebenso Stacheldraht an allen Grenzen und überhaupt: »Wir fordern eine massive Begrenzung der Zuwanderung.« Die Leute mochten nun mal keine Ausländer. Deshalb hatte er noch hinzugefügt: »Ebenso werden wir über das Grundrecht auf Asyl reden.« Grundrechte, das wäre ihm eingefallen, wenn er mal wieder sein Juristen-Kostüm getragen hätte, waren ihrer Definition nach zwar alles andere als saloppe Verhandlungssache, aber die Leute mochten nun mal markiges Geschmarre ohne juristische Spitzfindigkeiten.

Apropos bayerische Grundrechte: Da hing sein Christen-Kostüm. Söder bekreuzigte sich scherzhaft. Das Kostüm war ein wenig abgetragen, aber immer noch gut genug, um darin vor die ältere Dorfbevölkerung zu treten und eine Verschärfung des Blasphemieparagraphen zu verlangen. Auch die Idee für seinen Kreuzerlass war ihm darin gekommen. »Im Kreuz spiegelt sich unsere bayerische Identität und Lebensart«, hatte er erklärt. Was sollte er machen, die Leute mochten nun mal sadistische Hinrichtungsmethoden.

Einen Bügel weiter hingen seine Spendierhosen. Aktuell trug er sie meist in Kombination mit einem Astronauten-Anzug, einer Lufttaxi-Fahrer-Mütze oder einem Forscher-Kittel. Alle Leute mochten seine Spendierhosen. Was manche Leute allerdings nicht mochten, war, wenn die schöne bayerische Natur mit Gewerbegebieten zugepflastert wurde und wenn die Mieten ins Unendliche stiegen, weil landeseigene Wohnungen verscherbelt worden waren. Die Kiste, in die er die dazu passenden Kleider als Heimat- beziehungsweise Finanzminister gesteckt hatte, schob er verächtlich zur Seite und stieß dabei auf seine lederne Rowdy-Kluft, die er ausschließlich hinter verschlossenen CSU-Türen trug. Dem Wähler mochte vielleicht egal sein, ob die CSU einen Besenstiel aufstellte, den Besenstielen selbst war es nicht egal. Und wie viele Besenstiele es da gab! Aigners Ilse, Herrmanns Joachim, den Weber Manfred, den Dobrindt. Sie alle hatten danach getrachtet, Seehofer abzulösen. Doch um sich in einer Partei voller Besenstiele durchzusetzen, musste man ein besonders dicker, kräftiger Besenstiel sein, beinahe schon so etwas wie ein Baseballschläger. Der Gedanke gefiel ihm: Er, Söder, der Baseballschläger in einer Partei voller Besenstiele.

Da! Direkt neben seinem Robert-Habeck-Overall, in dem er alle Bienen weltweit gerettet hatte, war ja endlich das Gewand, das er suchte: der gütige Landesvater, der über den Dingen steht. Eines der bequemsten Stücke, das er im Schrank hatte. Eines der bei den Leuten beliebtesten sowieso. Söder sei dieses Jahr an Fasching unkostümiert gewesen, hatte es über dieses Outfit in der dummen Presse geheißen. Dass er sich als Ministerpräsident verkleidet hatte, war niemandem aufgefallen.

Als er es herausnahm, strich er zärtlich über eine andere Verkleidung, die er vermutlich erst in fünf oder neun Jahren würde anziehen dürfen. Es war sein deutschlandweit taugliches Kanzler-Kostüm. – Söder begann wieder zu grinsen. Es war ein, wie seine Frau es nannte, diabolisches Grinsen, obwohl er fand, dass er eigentlich gar kein anderes habe, das Adjektiv demnach überflüssig schien.

Beim Schließen der Tür erinnerte er sich daran, wie er in den Besitz des Schranks gekommen war. Es war an einem Winterabend Ende der 80er-Jahre gewesen. Der schlimmste Teil der Pubertät lag hinter ihm, Schule und Grundwehrdienst waren absolviert, jetzt stand die Frage an, was mal aus dem Bub werden solle. Der Bub Markus wusste es nicht. Er saß in seinem alten Kinderzimmer unterm Dach seines Elternhauses, und die ungewisse Zukunft lastete schwer auf ihm. Ernsthaft gläubig war er nicht, doch in seiner Verzweiflung kniete er nieder, faltete die Hände und sprach: »Mein Schöpfer, sage mir, was soll ich tun?« Da ertönte ein Kratzen und Schaben. Es qualmte gar mächtig, und dem Qualm entstieg ein schwarzes behaartes Wesen mit einem Pferdehuf und einer fürchterlichen Fratze. »Ich gebe dir einen Schrank voller Kleider und das Wissen darum, welches davon die Leute gerade mögen. Trage sie, und meine Macht wird immer mit dir sein!«, sagte das Wesen. »Was verlangst du dafür?«, fragte Söder. »Du weißt, was ich verlange«, entgegnete es.

Und so fasste der junge Söder an seine Brust, griff mit beiden Händen tief hinein und zog mit einem Ruck seine Seele heraus.

Diesen Beitrag finden Sie in der EULENSPIEGEL Ausgabe 04/2020.

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