Die immer lacht

Unsere Besten

Die SPD befindet sich in einer schrecklichen Krise. In Umfragen kam sie zuletzt auf nur noch elf Prozent der Stimmen. Doch noch ist die Sozialdemokratie nicht verloren: In einem geheimen Labor in der Nähe von Berlin arbeiten ein paar Mitglieder der Partei unermüdlich an einer Wunderwaffe. Wenn es nach ihren Schöpfern geht, dann soll die sogenannte »Giffey« noch in dieser Legislaturperiode gegen den Koalitionsfeind von der CDU/CSU und die kommunistischen Verschwörer an der SPD-Parteispitze eingesetzt werden. Mit ihr soll die alte Dame SPD mit einem geschärften Profil zurück in die Mitte der Gesellschaft gebumst werden. In jene Mitte, die einst von Gerhard Schröder als das Paradies ausgerufen wurde, wo Milch und Honig fließen und wo der Löwe friedlich neben dem von Carsten Maschmeyer entsandten AWD-Berater liegt. Hat das Projekt Chancen auf Erfolg?

Frank Hoppmann

Die Kontaktaufnahme läuft hoch konspirativ. 2010-mal klopfen, danach muss das Losungswort »Agenda« gesprochen werden. Eine nervöse Gestalt, die sich als Olaf Sch. vorstellt, öffnet die Panzertür. In den unterirdischen Räumen des ehemaligen Atomscholzbunkers riecht es nach Schwefel und Sozenschweiß. Sch. schreitet mit uns Seit’ an Seit’ durch eine Luftschleuse. Dann stehen wir im Labor. Sch. drückt ein paar Knöpfe. Eine Rauchmaschine vernebelt den Raum, Stroboskope und Laser blitzen auf. Schalmeien ertönen. Sch. kramt einen Zettel aus seiner Jacketttasche und liest mit monotoner Stimme ein paar Notizen vor, die er sich eigens für diesen Moment gemacht hat: »Har, har, har!« Dann fällt ein Tuch herab, dahinter steht sie: die sagenumwobene Giffey.

Es sieht etwas ungelenk aus, als sie sich durch den Raum bewegt, um ein paar Hände zu schütteln. Offensichtlich muss die Motorik noch etwas feinjustiert werden. Sch. gibt einige Fakten preis: Entwickelt wurde die Giffey schon 1978 von den Russen in Frankfurt/Oder. Nach der Wende geriet sie den westlichen Alliierten in die Hände, sie wurde in London, Brüssel und Straßburg weiterentwickelt, bevor 2007 der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky durch Zufall in ihren Besitz geriet. »Bitte keine weiteren Nachfragen«, befiehlt Sch.

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In Neukölln wurde die Giffey erstmals erprobt, erläutert er weiter. Sie ersetzte Heinz Buschkowsky im Amt des Bürgermeisters, damit der sich auf seine Fernsehkarriere konzentrieren konnte. Hier, im schäbigsten aller Berliner Bezirke, wo der Abschaum auf die Straße scheißt und der Gentrifizierer ins Marmorklo, wo man am Monatsanfang vom U-Bahnhof zum Jobcenter durch einen See aus Erbrochenem schwimmen muss, wäre es nicht so schlimm gewesen, wenn das Ding doch einmal explodiert wäre. Ist es aber nicht. Mit ihrem künstlichen Stimmchen gab Giffey vielmehr bekannt, mit Müllsheriffs des Problems des illegalen Sperrmülls im Bezirk Herr werden zu wollen. Eine Idee, für die ihr Vorgänger Heinz Buschkowsky zu blöd war. Oder zu schlau. Oder es war ihm einfach wurscht. Man weiß es nicht so genau. Jedenfalls gibt es seit Giffey keinen Sperrmüll mehr in Neukölln. Wer es nicht glaubt, kann gerne mal hinfahren und sich überzeugen (Pfefferspray nicht vergessen!).

Franziska Giffey setzt sich an einen Schreibtisch, der extra für sie herbeigeschleppt wurde und bietet jedem im Raum einen Kaffey an. Immer trägt sie ein kleines Lächeln auf den Lippen. Ihre Mundwinkel lassen sich nach den vielen Jahren in der Politik leider nicht mehr vollends absenken – eine völlig normale Verschleißerscheinung. »Das ist der Preis für meinen Einsatz«, sagt sie lächelnd, zeigt mit den Daumen auf ihren Mund. Sie erschafft damit die Illusion, menschliche Gefühle seien ihr nichts Fremdes. »Politik ist die Kunst des Möglichmachens«, spricht sie weiter und lächelt. »Was ist Ihr größter Wunsch?«, fragt sie fröhlich in die Runde. »Geld«, »Potenz«, »die Bewahrung des Erbes Gerhard Schröders«, schallt es aus unterschiedlichen Kehlen durch den Raum. »Ihr Wunsch ist mir Befehl«, sagt Giffey, zuckt mit dem Kopf, verdreht die Augen und beginnt eifrig Gesetzestexte zu schreiben.

Olaf Sch. nickt zufrieden, während Giffey in einem immer größer werdenden Berg von beschriebenen Seiten versinkt. Es ist eine beeindruckende Demonstration. Sch. erläutert, dass die Giffey eine 170-Stunden-Woche abarbeiten kann, ohne auch nur ein Mal auf Toilette gehen zu müssen. Programmiert ist sie auf die Maxime »Rein in die Organisation und von innen heraus Karriere machen«. Es ist ihr sogar möglich, die Ablage zu machen und sich nebenher fortzupflanzen. Vor einigen Jahren hat sie tatsächlich ein Kind bekommen. »Aber keine Sorge: Sie hat dabei keinen Schmerz gespürt«, beruhigt Sch.

Das Leben der Menschen mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands besser zu machen, darauf ist Giffey geeicht. Widersprüche hält sie dabei aus. Das ist ihre große Stärke. Ihr ist es egal, dass durch ihr Starke-Familien-Gesetz Familien überhaupt nicht in den Genuss von kostenlosen Protein-Präparaten gelangen. Dass das Gute-Kita-Gesetz mit seinem formulierten Anspruch, für jedes Kind einen Kitaplatz zu schaffen, die BRD 30 Jahre nach der Wende auf das Niveau der DDR herabsinken lässt, ist ihr ebenfalls gleich. Und dass Angela Merkel überhaupt nicht in der SPD ist und darum auch nicht ständig von der SPD zur Kanzlerin gewählt werden müsste, lässt sie völlig kalt.

Es gibt keinen Zweifel daran: Die Giffey ist grundsätzlich einsatzbereit. Sie stellt sich in die Mitte des Raumes und hebt zu sprechen an: »Ich sag mal so wie der verdiente Genosse Ernst Reuter in seiner berühmten Berlin-Rede: Wollt ihr die totalen Hartz-IV-Sanktionen? Wollt ihr sie totaler, als ihr sie euch vorstellen könnt und wollt ihr sie mit der Großen Koalition mit dem Finanzminister Olaf Scholz?« Sch. zuckt zusammen. »Die Zitierfunktion macht unseren Entwicklern derzeit noch einige Probleme«, gibt er unumwunden zu. »Aber auch, wenn wir dieses Problem nicht mehr ganz in den Griff kriegen sollten, werden wir die Giffey wohl einsetzen. Denn viele Optionen haben wir nicht mehr im Kampf gegen den roten Kevin«, sagt er, geht zu einem Käfig und lässt fünf fliegende Affen frei. Sie schwirren um die Glühbirne der Deckenlampe und fallen schließlich entkräftet zu Boden. Sch. seufzt. Franziska Giffey lächelt.

ANDREAS KORISTKA