Wenn Vogel, dann tot
FERNSEHEN
Gemeinsame Fernsehabende können Ehen retten oder zerstören. Wenn sie beide den »Tatort« lieben, gibt es dazu Füßekraulen mit Entspannungspups, Salzstangen und Eierlikör und gemeinsames Kichern über die Flachwitze der Kommissare. Also Sexersatz.
Will er allerdings Fußball und sie will Helene Fischer, verkriechen sich die Eheleute in unterschiedliche Räume – so sie zu den Glücklichen gehören, die nicht auf der Schlafcouch wohnen müssen – und schauen, was sie wollen.

Früher, als es nur einen Fernsehapparat mit einer Fernbedienung im Haushalt gab, war der goldene Kompromiss die Natur-Doku. Röhrende Hirsche, rauschende Wälder, plätschernde Wasserfälle ließen jedes körperliche Geräusch des Partners niedlich wirken. Wie vielfältig und wunderschön unsere Welt doch ist, dachte man dann und konnte auch in dem Partner ein einzigartiges Geschöpf der Natur erkennen. Man fand die eigene Drecksecke, die sechsspurige Autobahn vor der Tür oder die Einflugschneise über dem Haus weniger dramatisch. Wenn die Welt da draußen so viel Schönes zu bieten hatte, lohnte es sich doch, auf ein Wohnmobil zu sparen.
Nun wissen wir, die Welt geht unter und schön ist nur der Schein. Klima-Dokus haben die Naturfilme abgelöst. Nur noch Drama. Statt die Vielfalt zu preisen und voller Freude mit Reportern die entlegensten Winkel der Erde zu erkunden, wird gejammert: Sehen Sie diesen üppigen Regenwald hier? Er wird bald gerodet sein, und diese süßen Schimpansen-Babys haben keine Mama, und der Vogel, den Sie hören, ist eigentlich schon ausgestorben.
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Promis erkunden für uns vor der Kamera die Geheimnisse der sterbenden Welt: Hannes Jaenicke ist »im Einsatz« für die Tiere, Markus Lanz macht sich »ungeschminkt« auf die Suche nach Menschen und Benno Fürmann segelt rum, »Ostsee am Limit«. Es geht immer um alles, den Kampf ums Überleben und den Untergang, den wir endlich verstehen müssen. Es gibt so viel zu erklären: Warum der Ganges nach Scheiße stinkt, warum die Fische nach Blei schmecken oder die Erdbeeren nach Chlor. Wir müssen alles wissen, um es noch schlimmer zu finden.
Sven Plöger ist eigentlich der Wettermann der ARD (»Frosch« würde ich aus Respekt vor der Art nicht schreiben). Herr Plöger ist nicht irgendein introvertierter Meteorologe, der nicht wusste, was er nach dem Abi machen sollte und dachte, Wetter gibt’s immer. Nein, er ist ein Meteorologe aus Leidenschaft und mit starken Geltungsdrang. Er lernte bei dem Besten, Jörg Kachelmann, dem Mann,
der aus Wetter Entertainment machte. Plöger stand in seinem Windschatten, bis es eine günstige Brise für ihn gab. Nun ist er das Wettergesicht der Deutschen. Und er ist der Oberlehrer mit dem verschmitzten Lächeln, einer der gern laut denkt. In »Sven Plögers Klimablick« bekam er eine Viertelstunde Sendezeit pro Woche, um seine Gedanken zu teilen, zum Beispiel über Populisten und Klimawandel: »In letzter Zeit frage ich mich, warum wählen wir in Demokratien Populisten an die Macht, und ich stelle mir auch die Frage: Beeinflusst der Populismus das Thema Klimawandel?« Ein drehendes Gurkenglas half ihm beim Gedankenkarussell und Plöger kam ins Philosophieren, das kann er nämlich auch.

In seiner neuen Klima-Doku »Wie extrem wird das Wetter, Sven Plöger?: Wenn die Antarktis schmilzt« verrät schon der Titel das, was von Plöger erwartet wird. Er ist das Orakel der Nation. Und eigentlich sollte er Bundeskanzler werden. Denn er hat Ideen, weiß, was auf uns zu kommt, und ist ein feiner Kerl. »Ich bin kein Missionar, kein Ideologe mit erhobenem Zeigefinger. Ich sage den Leuten nicht, was sie zu tun oder zu lassen haben, denn das führt nur zu Reaktanz.« Er zeigt nur Haltung.
Schon der Titel der Doku verrät, Plöger ist ein Orakel, er weiß mehr als alle anderen. Aber erst mal genießen – »dieses unendliche Weiß, traumhaft«. Enthusiasmus und Lebensfreude sprühen aus dem Wettermann durch die Daunenjacke heraus. Er lässt sich mit dem Heli übers Packeis fliegen, paddelt mit dem Kajak zwischen Eisbergen herum und zeltet an einem geschmolzenen Gletscher. Warum? Damit wir das ganze Dilemma besser verstehen und weil es dem Sven viel Freude macht. Ein bisschen klassische Natur-Doku, mit Streichorchester, Drohnenbildern und Robbenbabys in Slow-Motion, darf natürlich auch nicht fehlen.
Plöger besucht Forschungsstationen und ist begeistert von allem. Auf Grönland trifft er eine Kollegin, die »als Inuit das Wetter fühlt«. Dann wird es spannend, freut sich Plöger, ein Sturm zieht auf. »Wenn man rausguckt, sieht man, es ist Wetter! Kein normaler Mensch würde rausgehen, aber ich will noch mal an den Strand, um den Unterschied zu erleben.«

Glücklich breitet Plöger die Arme aus und grinst. »Respekt vor der Natur!« Zum Glück startet der Helikopter trotzdem, Plöger bekommt noch mehr Eis zu sehen und fragt uns: »Was ist eigentlich Eis?« – »Weiß, ganz viel Weiß.« Seit es schmilzt, erklärt er, ist das Wasser trübe und die Robbenjäger schießen öfter daneben. So hängt alles mit allem zusammen.
Zwischen erhabenen Landschaftsaufnahmen springt der Plöger ins Bild und erklärt, was ein Kipppunkt ist. Wenn eine Kaffeetasse fast vom Tisch fällt, dann kippt was um. »Diesen Kipppunkt gibt es auch in der Gesellschaft«, fügt Plöger weise hinzu und lässt diesen Gedanken wie ein Mahnmal stehen.
Genial, wie der Mann die komplexen Fragen so einfach beantworten kann. »Ist das nicht eine wunderschöne Welt, in der wir leben? Ich bin überwältigt von den treibenden Eisbergen. Ganz interessant, der Eisberg, der die Titanic rammte, kam von hier.« Sven Plöger schafft es eben immer, in der Apokalypse auch den Spaßfaktor zu finden. Und am Ende jeder Klima-Doku steht die Warnung: »Eins habe ich gelernt, wir dürfen nicht zögern. Eine Zukunft haben wir nur mit der Natur, nicht gegen sie.« Und der Warnung folgt die Zuversicht: »Wenn wir zusammenhalten, können wir viel mehr erreichen, als wir denken.«
FELICE VON SENKBEIL

Auslese
- Wo die starken Männer (nicht) wohnenPeter Köhler
- Irgendwie lustigFelice von Senkbeil
- Wenn Vogel, dann totFelice von Senkbeil
- Der Ossi, an dem Ratten nagenMatti Friedrich
- Das ganze Leben – nur ein SpielFelice von Senkbeil
- Arbeiten, wo andere wählenMichael Kaiser Wer träumt nicht davon, einmal in seinem Leben als Wahlhelfer unserer Demokratie zu dienen?