Vierzehn Minuten: Deutschland hielt den Atem an
FERNSEHEN
»Die Ampel leuchtet nur noch rot und grün!« – bis zum bitteren Ende halten die journalistischen Schwätzer auf dem Berliner Parkett fest an ihrem infantilen, verkehrserzieherischen Farbenalphabet (mit dem sie, nebenbei bemerkt, Farbenblinde und ganz Blinde ausgegrenzt haben)! Jetzt wenigstens werden wir davon erlöst. Wahrscheinlich werden die eifrigen Berichterstatter jetzt für längere Zeit nur eins sehen: schwarz. Das war ein Knall – und endlich wurde mal richtig gearbeitet im Hauptstadt-Studio, auf dem Lerchenberg, im Springerhochhaus und in sämtlichen Redaktionen des Landes. Und mancher Routinier lief dabei sogar zu großer Form auf.
Eigentlich hatten sich die Korrespondenten, Experten, Berater, Moderatoren, Redakteure und Senderchefs auf sauber vorbereitete Berichterstattung zu den US-Wahlen gefreut. Viele waren vor Ort, haben mit Long Island Ice Tea und Spareribs den Trump-Sieg runtergespült und ihre Aufsager auswendig gelernt … da machte Olaf, der Zauderer, ernst!
Lange hatte das deutsche Wahlvolk seinen Kanzler für gänzlich stumm gehalten. Drei Jahre lang hatte er nur irgendwelche Kehlgeräusche von sich gegeben. Doch plötzlich hörte man ihn röhren: »Zu oft! – Zu oft hat er mir in den Kaffee gerotzt! Zu oft ist er vor mir durch die Tür gegangen, zu oft hat er die gleiche Krawatte wie ich getragen, und zu oft hat er schlecht über meine Frau gesprochen!« Es hörte sich an, als solle Lindner noch vor der »Tageschau« im Hof des Bendlerblocks erschossen werden.
Vierzehn Minuten dauerte seine Rede, vierzehn Minuten stand Deutschland still, vierzehn Minuten, in denen keine unverkäuflichen Autos produziert und keine Steuerbescheide erstellt werden konnten. Vierzehn Minuten, in denen reihenweise Chefredakteure vom Dienst beatmet oder mit Cannabis versorgt werden mussten.
Alle Sendepläne gerieten durcheinander, und die Schweißflecken unter den Seidensakkos wuchsen zu Seen heran. »Akte XY« blieb ungelöst, »Sandra Maischberger« musste ihre Fragekärtchen wegschmeißen und mit Armin Laschet und Gesine Schwan, die auch nur über Trump jammern wollten, das Thema wechseln.
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Der große Moment für Praktikanten! Wer zufällig im Studio war, durfte ran. Denn die Highlights kamen am laufenden Band: Nach dem wütenden Olaf kam der emotional verletzte Christian, der sich mehrmals »menschlich aufgerieben« hatte und nun um die Liebe des Publikums flehte.
Der »ARD-Brennpunkt« wurde zur Doppelsendung, Trump musste sie mit Scholz teilen. Ellen Ehni war im Blindflug, Markus Preiß, Leiter des Hauptstadtstudios, stand auf den Balkon der ARD und fuchtelte mit den Mundwinkeln, denn er hatte keinen Ton.
Belastbare Fakten gab es nur zwei: Scholz schmeißt raus, Scholz schmeißt hin. Aber dafür gab es viel Gefühl! Immer wenn’s inhaltlich dünn wird, ergießt sich ein Strom von Gefühlsnachrichten über die Medien. Fragen wie: »Wie fühlt sich das an, wenn …? Was haben Sie gefühlt, als …?« verkleben die Kanäle. Deshalb ist der Habeck bei Journalisten so beliebt. Er gilt als der Mann mit Empathie und Emotionen. Bevor der einen Fakt benennt, fühlt er ihn erstmal in sich drin. Aber er sorgt sich auch. Zum Beispiel, dass »die Menschen« nach der Amerikawahl ihre Gefühle »noch nicht richtig« verarbeiten konnten, und nun kommt der Scholz noch mit so was … Bei Lanz resümierte er den Tag: »Es fühlt sich irgendwie nicht richtig, irgendwie falsch an.«
Starke Gefühle brauchen starke Bilder: »Das Tischtuch ist zerschnitten«, »das Porzellan ist zerschlagen«, und zwar sehr viel, sehr kostbares. Als eine Kollegin gar nicht mehr weiter wusste, griff sie zu Humor und fragte die zugeschaltete Expertin: »Werden Scholz und Lindner jemals wieder Freunde werden?«
Im Frühstücksfernsehen jagte ein Experte den nächsten, und statt um »Herbstgestecke« und »Maronenpüree« ging es um »Befreiungsschlag«, »Lähmungsgefahr«, »große Instabilität«, »riesiges Durcheinander«, »historisches Ereignis«. »Wir sind offen und transparent … wie wir das immer sind«, beteuerten die Moderatoren aus Reflex und gaben zu: »Es geht hier zu wie auf dem Flughafen«, »Das sind Tage, an die erinnert man sich in der Rente.« (Wenn’s dann noch welche gibt.) Sven Lorig jammerte: »Wir hoffen, die Breaking-News-Situation irgendwie zu überstehen.«
Gegen Mittag schien das Material dünn zu werden und in sämtlichen Großraumbüros fragte man sich, wie es nun weitergehen könnte. Scholz und Lindner waren bereits ausgeweidet wie erlegtes Wild. Dann das Thema: Neuwahlen noch heute oder erst nach Nikolaus?
Glücklicherweise gab es im Laufe des Tages noch denkwürdige, ja »historische Bilder«: Wie das zur »Entlassung aus dem Amte« – herbeibefohlene, tiefschwarz gekleidete Gestalten in einem kahlen Raum mit Fahnen. Der Mann, der noch nie eine Wahl gewonnen hat, jedoch Staatsoberhaupt ist, verlas die Urteile, und wenn er am Blattende angekommen war, verlas er auch noch seine Unterschrift. Marco Buschmann und Bettina Stark-Watzinger – Ihr werdet dem Land fehlen!
Übrigens: Zu gleicher Stunde tobte durch dieses Haus des Bundespräsidenten angeblich ein tolles Fest der Lebensfreude zur Feier des fünfunddreißigsten Jahrestages des Mauerfalls. Wie sich das anfühlt, wollen Sie wissen? Na ja, halt irgendwie … vielleicht wie Porzellan und Tischtuch in einem Eimer. Ach, fragen Sie doch den Habeck, der wird es schön erfühlen!
In Zeiten von Rücktritten, Putschen, Revolutionen oder königlichen Sturzgeburten geht eben nichts übers TV. Instagram und X kannste vergessen!
FELICE VON SENKBEIL
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